Hatte ich hier im Topic ja schon mehrmals umrissen: Ja, die Russen haben bei einigen Nischenanwendungen anscheinend die Nase vorne. In der Raketentechnik, beim Triebwerksbau (wenn man Leistung der Haltbarkeit gegenüber bevorzugt!) und in einigen Spezialgebieten wie Superkavitation und Plasma.
Gerade was Plasma angeht reden wir allerdings von einem großen, schwarzen Loch. In 1991 oder '92 hatte ein russischer Wissenschaftler beim ersten Besuch auf einer Waffenmesse in den USA einen Vortrag dazu gehalten, der seine westlichen Kollegen aufhorchen ließ. So sprach der Russe davon, dass man in Sachen Stealth einen ganz anderen Ansatz verfolge und statt radarabweisender Formen und Beschichtungen eher daran denke, Flugzeuge und Raketen in eine "Plasmawolke" einzuhüllen. Das Thema verschwand dann ebenso schnell aus der Öffentlichkeit, wie auch dieser Wissenschaftler. Bekannt ist aber mittlerweile, dass die Russen wohl noch immer (und damit seit mehr als 30 Jahren) an dieser Idee basteln. Der Su-57, dem Hubschrauber und dem Flieger des russischen Präsidenten wurden Abwehrmaßnahmen basierend auf dieser Technik schon angedichtet. Man kann schon seit einiger Zeit auch auf nicht-nuklearem Wege größere Mengen an Plasma erzeugen. Fest steht, dass Plasma für alle Formen von Elektromagnetismus relativ undurchdringlich ist und tatsächlich die ihm angedichtete radarverschluckende Wirkung hat. Dieses Plasma aber bei hohen Geschwindigkeiten formstabil zu halten, ohne dass es das zu schützende Objekt berührt und dabei zerstört? Das ist wohl die andere Seite, die man vermutlich noch nicht so ganz hinbekommt.
Warum ich hier ganz gezielt "Plasma" anspreche? Eben weil wir wissen, dass die Russen seit +30 Jahren daran arbeiten und westliche Analysten nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie weit die Russen *wirklich* damit gekommen sind und wie ernsthaft sie das heute noch verfolgen.
Der andere Punkt ist, dass die Russen schon immer viel innovative Ingenieurskunst hatten und oft inkrementelle Verbesserungen einer kompletten Neuentwicklung gegenüber bevorzugten. Und nach vielen Nieten kommt halt irgendwann mal ein Super-Neuentwurf, bei dem alles passt und den man dann wieder jahrzehntelang inkrementell verbessert. Siehe die Suchoi Su-27, die gleich Dutzende Ableger und neue Varianten spawnte, von denen keine wirklich schlecht ist. Die darauf basierenden Su-30, Su-34 und Su-35 sind eine Klasse für sich.
Aber: Die Russen sind und waren halt schon immer chronisch klamm. Selbst wenn Armata und Su-57 *wirklich* den westlichen Modellen gegenüber überlegen *wären* (und daran kann man zweifeln): Die Russen haben die *Anschaffung* von beiden auf Eis gelegt. Defakto hat man diese Jahr mehr T-34/85 *importiert* (aus Kambodscha - als Museumsstücke und für TV-Produktionen), als man T-14 "Armata" anschaffen will. Wenn der neue Panzer so super ist, warum kauft man dann doch lieber noch mehr T-90 und rüstet bestehende T-72, T-80 und T-90 erneut weiter auf? Weil die Kasse knapp ist und bewährte Technik halt weniger Risiko beinhaltet.
Rein konventionell gesehen machen die Russen sicherlich derzeit keine Schnitte und auch keine Anstalten, da groß nachzulegen. Die haben kein Geld für große Sprünge. Es ist billiger, in atomare Abschreckung zu investieren, als in konventionelle. Und ein paar neue Raketen, RUSV (Remote Undersea Vehicles) und gute Luftverteidigung sind vergleichsweise billig zu haben. Zumal selbst da der Westen nicht wirklich sicher sein kann, ob der russische Kram auch wirklich so funktioniert, wie die Russen das sagen. Das führt dann zu "Reagonomics": Man kann die Bedrohung nicht ignorieren und ist gezwungen, entsprechend nachzulegen.
In wie weit liegen die USA mittlerweile den Russen und Chinesen gegenüber zurück? Oder ist dieser Rückstand nur eingebildet?
Fakt ist: Zahlenmäßig ziehen die USA gegenüber den russischen Streitkräften in Sachen Panzer und Flugzeuge den kürzeren. Bei der Navy liegen sie (natürlich!) vorne. Stellt man den Vergleich zu China an, so wird daraus ein "no contest", denn rein von den Zahlen her sind die Chinesen klar (bis auf bei der Navy) vorne.
Es gibt aber eine ganze Reihe ausgleichender Faktoren und da möchte ich auf einen US-Piloten hinweisen, denn ich neulich schon zitiert hatte, weil er das thematisierte. Er sagte: 1991 gegen den Irak ist jeweils eine ganze Staffel losgeflogen, um ein strategisches Ziel auszuschalten. Heute würden dafür nur zwei bis vier F-15 gestartet. Warum? Weil die heute soviel Präzisionsmunition tragen können, dass zwei F-15's im ersten Anflug so viele unterschiedliche Ziele plattmachen können, dass man früher eine ganze Staffel dafür gebraucht hat. Die anderen zwei geben Luft-Luft-Deckung, bzw. sind Reserve. Bei diesen Strikes sind sie zudem vernetzt unterwegs und bekommen von AWACS, J-STARS, Drohnen, anderen Fliegern und aus SAT-Aufklärung ständig Infos rein, was rund um sie herum vorgeht. Bekannte und frisch aufgeschnappte Bedrohungen können umgangen oder es kann frühzeitig darauf reagiert werden.
Bei den Russen und Chinesen ist im Cockpit dagegen noch tiefste Steinzeit und Karte, Kompass und Stoppuhr, Mk2 Eyeballs und das eigene Radar sind die einzigen Hilfsmittel. Plus halt das, was andere Flieger oder die eigene Krüppel-AWACS oder Bodenleitstelle per Funk durchsagt. Der Russe und der Chinese hat den Kopf in einer Wolke aus "Fog of War", während ihr US-Gegenspieler von Start bis zur Landung ein nahezu perfektes 3D-Lagebild eingeflüstert bekommt. Zudem sind die russischen und chinesischen Cockpits durch die geringere Automatisierung und schlechtere Ergonometrie noch richtig arbeitsintensiv und körperlich anstrengend zu handeln.
Andere wichtige Punkte für die USA: Tradition, praktische Kriegserfahrung und die damit verbundenen Möglichkeiten, die eigenen Konzepte und Technik auf den Prüfstand zu stellen. In Deutschland sind wir in 20 Jahren dreimal mit Tornados in den Krieg gezogen (Jugoslawien, Afghanistan und Syrien) und hatten jedesmal das die gleichen unbehobenen Defizite wie beim ersten Mal: Keine geeigneten Nachtsichtgeräte, Cockpit- und Außenbeleuchtung nicht für Nachtsichtgeräte geeignet). Den Amis wäre das nicht passiert. Wir können heute auch keine Tornados mehr auf NATO-Missionen schicken, weil Funk und IFF nicht mehr kompatibel sind. Das bitte mal auf der Zunge zergehen lassen, denn der Tornado-Nachfolger ist noch nicht mal konkret angedacht und wird unmöglich vor 2030 in die Prototypen-Phase gehen können.
Die USA haben Generäle, die eine Woche vor einer Großinvasion hinter der Basis in den Dünen auf einer extra angelegten Karte des Feindlandes mit den Kommandeuren den kompletten Invasionsplan (mit Rufzeichen, Funkfrequenzen, genauen Zeitplänen) aus dem Kopf ohne vom Papier abzulesen durchexerzieren, damit jeder weiß, wer wann wo zu sein hat und auf welche Hilfen er zurückgreifen kann. Die Russen schaffen keine Übung zu Friedenszeiten, ohne dass es Tote gibt und bekommen selbst gegen drittklassige Gegner (Tschetschenien, Georgien, ISIS in Syrien) noch die Mütze voll, wenn sie eine offene Feldschlacht suchen. Der Kampf der Brigade aus Wagner-Söldnern gegen eine Kompanie US-Rangers in Syrien? Der ging etwa 600:0 aus, weil die Amis ungehemmt mit allem draufhielten, was da war (Artillerie, Drohnen, Apache, F-15, AC-130 und sogar verkackte B-52!). Da war halt auch der politische Willen da, zu sagen: "Lieber Putin, das war jetzt nicht so wirklich clever. Siehste selbst, nicht wahr?"
Was die USA angeht, möchte ich noch auf ein paar technische "Unklarheiten" hinweisen: Aurora (SR-71 Nachfolger), deren neues autonomes Mini-Shuttle (schon mehrmals für Monate im All gewesen - keiner weiß so genau, wozu) und die "verschwundene" überlegene Drohnentechnik aus der X-45, die man "anscheinend" seit 14 Jahren nicht mehr weiter verfolgt. Hinzu kommt noch der stark modifizierte Sikorski S-60 "Stealth-Hawk", von denen einer 2011 beim Einsatz in Abbotabat gegen Osama bin Laden so spektakulär verloren ging. Bei dem ist mittlerweile bekannt, dass auch der seit 1978 (!) in Entwicklung war:
http://www.thedrive.com/the-war-zone/25 ... laden-raid
Das war auch nicht dessen erster Einsatz, denn der wurde auch schon 2008 und dann nochmal in 2014 in Syrien eingesetzt. Da Sikorski seit 2015 zu Lockheed gehört, kann man zudem davon ausgehen, dass deren Stealth-Erfahrung dem Projekt nochmal neues Leben eingehaucht hat und man mag sich wundern, was Skunk Works da jetzt noch so alles im Tonopah Test Range in der berüchtigten Area 51 stehen hat.
Auf russischer Seite gab es halt auch immer mal wieder Überraschungen, die man im Westen so nicht kannte. Halt die Kalibr Cruise-Missle, die man ursprünglich noch für ein Relikt aus dem kalten Krieg hielt und ihr nur eine Reichweite von 85 Meilen zutraute. Oder die russischen U-Boote, die alle mehr als nur ein Ass im Ärmel hatten: Die krankten schon immer bei der Sonartechnik, die mit westlichen Systemen nicht mithalten konnten. Doch dann stellte sich vor ein paar Jahren raus: Die Russen setzten seit den 70'er Jahren auf "Schnüffelbüchsen" um die Schwachstellen beim Passiv-Sonar auszubügeln. Die können durch Analyse des Meerwassers auch nach Stunden noch feststellen, ob da ein anderes U-Boot hergefahren ist. Durch Verwirbelungen im Wasser und komplexe und automatisierte chemische Spurenanalyse. Die können dir hinterher sagen, welches Schmieröl das U-Boot für seine Welle genommen hatte, wie hoch der Titanabrieb in den Rohren der Reaktor-Sekundärkühlung war und was die Crew zum Frühstück hatte.
Der Punkt ist hier, dass genaue technische Details von vielen (auch elementar wichtigen) Komponenten oft auch Jahrzehnte später nicht wirklich in allen Details bekannt sind. Selbst wenn man bei den USA alle Prototypen rausrechnet und im Gegenzug dennoch den Russen alle exotische Wunderkind-Technologie lässt? Ich würd' nicht auf die Russen wetten wollen, zumal deren Antwort nach dem ersten konventionellen Schlagabtausch zwangsläufig nuklear sein *muss*. Denn anders können sie auf längere Sicht dann nicht mehr kontern. Was China angeht? Ein Land, das Milliarden von Menschenleben als Verluste hinnehmen kann wird einen Konflikt auch dann noch weiter austragen, wenn andere schon längst nichts mehr zu schmeißen haben.
Da bleibt nur die Hoffnung, dass die Vernunft es nie so weit kommen lässt. Und das Wissen, dass Vernunft in der Politik ein knappes Gut ist ...
