Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Es ging mir um den Umstand, dass Militärtechnik nicht immer mit der gleichen Philosophie entwickelt wird. Der Herr aus dem Panzermusem hat die Sovietpanzer z.B. mal als eine Art Wegwerfprodukt bezeichnet. Wenn einer kaputt ist, dann nimmt man halt einen neuen. Um das kaputte Gerät kümmert sich dann die Reparaturmannschaften (sofern noch möglich).
Die Zeiten, wo das ging? Die sind eher vorbei. Der Golan wurde während des Yom-Kippur-Krieges z.B. dadurch gerettet, dass die Israelis deutlich fixer waren, eigene abgeschossene Centurion-Panzer zu bergen und wieder fit zu machen. Da gibt es die absolut
irre Story um Zvika Greengold, der (fast!) im Alleingang (und eigentlich war er im Urlaub!) 30h lang die "Petroleum-Road" und Nafah (Kommadozentrum Northern Command) gegen die Syrer verteidigte. Die ersten vier Panzer, mit denen er los ist? Das waren alles abgeschossene Wracks, aus denen sie teilweise erst die Reste der Vorgänger-Besatzung rauskratzen mussten. Im Laufe der 30h musste er fünf mal den Panzer wechseln, da entweder (im ersten Fall) das Funkgerät defekt war, oder sie abgeschossen wurden.
Mit nur zwei Panzern stoppte er z.B. den Vormarsch der 51. syrischen Panzerbrigade und mit drei weiteren Spätankömmlingen das 452. syrische Panzerbataillon.
Aber zurück zu Philosophien beim Panzerbau: Sowohl beim Armata als auch bei westlichen Panzer geht der Trend hin zu relativ "nackten" Basis-Fahrzeugen und die Panzerung selbst ist weitgehend nur "angeschraubt" oder aufgesteckt und kann daher fix bei Beschädigungen gewechselt werden. Auch Motor und (teilweise) Getriebe sind im Feld leicht zu wechseln. Ob letzteres auch beim Armata geht? Ist noch nicht klar. Bei älteren Russsen-Panzern war das bislang noch nicht der Fall. Die Zeiten aber, in denen man auch einen angekokelten Panzer im Feld-Depot innerhalb weniger Stunden wieder fit machen konnte, sind aber längst vorbei. Dafür ist da zu viel sensible Technik drin, ohne die es heute nicht mehr geht.
Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Russland wird wahrscheinlich faktisch nie auf aktuelle US/NATO Technik im Bereich Panzer und Flugzeuge treffen. Wenn das doch mal passieren wird, dann sind wir eh maximal am Arsch und in einem Krieg, der bis zum Maximum eskalieren könnte.
Genau darauf wird es doch hinauslaufen, wenn man sich die vollmundigen Ankündigungen der Russen so anhört. Die melden doch bereits an, dass sie mindestens die Grenzen der UdSSR wieder für sich reklamieren und die komplette ehemalige Einflusssphäre des Warschauer Paktes. Und das geht nur, wenn sie die NATO aufs Korn nehmen.
Selbst wenn nicht: Auf aktuelle NATO-Technik sind sie ja vereinzelt schon in der Ukraine gestoßen. Die anfänglich mal gelieferten 14 Stück HIMARS hätten doch an sich bei der absolut irren Masse russischer Arty/MLRS-Überlegenheit keine Rolle spielen, zumal sie auch noch mit den ältesten im Bestand befindlichen und mit kurzer Reichweite versehenen Munition geliefert wurden. Stellte sich raus: Die HIMARS (Einführung: 2010) und M270 (Einführung: 1983!) waren und sind ein absoluter game-changer, dem die Russen nichts auch nur annähern gleichwertiges entgegen setzen können. StormShadow/SCALP? Ditto. AGM-88 HARM? Den Russen seit der Einführung in 1985 bestens bekannt und sie haben noch immer kein Äquivalent. Und sobald die F-16 da sind (von der verbauten Technik her nicht gerade die besten F-16 Varianten!), werden die Russen auf noch mehr Abstandswaffen treffen, die sie alle schon kennen und dennoch oft nichts haben, was denen in Sachen Leistungsfähigkeit irgendwie nahe kommt.
Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Die USA packen immerhin fast 1 Billionen Dollar jedes Jahr in ihr Militär. Dass die da mehr Hightech mit hinbekommen verwundert erstmal eigentlich nicht. Russland hat aber keine 1 Billionen Dollar pro Jahr. Allein daraus würde sich bereits ergeben, dass sie ein anderes Konzept benötigen als die USA.
Korrekt. Und die Russen stecken dann auch noch viel Geld in die Marine und die strategischen Raketenstreitkräfte, die im Ukraine-Krieg keine Rolle spielen, bzw. eher ab und an mal ein paar Raketen gegen überwiegend Flächenziele (Zivil) losschicken. Plus halt die irre russische Korruption und Schwund. Man kann auch mit wenig Geld ein fähiges Militär hinstellen und teilweise sehr gute Waffensysteme selbst herstellen. Die Norweger z.B. haben gleich mehrere Raketen aufgelegt, die so gut waren, dass die USA die 1:1 übernommen haben. Schau dir die Schweden mit der Gripen an. Israel brauche ich erst nicht zu erwähnen, weil: Ist sowieso klar. Südkorea? Türkei? Beides die neuen Stars auf dem Waffenmarkt, die in den letzten 10-20 Jahren eine spektakuläre Transformation der Streitkräfte durchgemacht haben und auf breiter Front Waffensysteme für alle Gattungen bauen, die ganz vorne mitspielen und die der Russen bei weitem übertreffen. Gut, Türkei ist da etwas weiter zurück als Südkorea, aber ebenfalls sehr ambitioniert. Und da muss man schon sagen: Wenn sich die Russen selbst von den Türken in Sachen militärische R&D überholen lassen? Dann sieht das nicht gut aus. Die Russen bleiben da weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Und nebenbei kann ich im Irak nicht so wirklich erkennen, dass man sich da durch "Rules of Engagement" wirklich zurückgehalten hat. Die Opferzahl unter der Zivilbevölkerung war enorm.
Die ging erst während der Insurgent-Phase so richtig durch die Decke. Und wirklich vergleichen kann man das auch nicht, denn es ist doch klar, dass die Russen die Genfer Konventionen bestenfalls als To-Do-Liste sehen, die man auf dem Weg zum Highscore Punkt für Punkt abhakt. Egal ob in Tschetschenien, Syrien oder in der Ukraine hat man doch ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht. Nicht aus militärischer Notwendigkeit, sondern eher aus Prinzip. Selbst wenn die USA teilweise nicht zimperlich sind: Das die auf gleichem Niveau agieren kann man ihnen nicht unterstellen.
Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Oder anders: Was wäre denn nicht zurückhaltend gewesen? Alles einfach dem Erdboden gleich machen?
Sieh dir den Gaza-Konflikt an. Die Palästinenser dort drehen ja komplett am Rad und die tausende von Raketen, die sie auf Israel feuerten? An sich war das eine Einladung zum Genozid, denn nur das würde dauerhaft den Frieden dort bringen. Kein Land kann es sich leisten, seine zivilen Bevölkerungszentren ungestraft einem solchen Beschuss auf Dauer auszusetzen, OHNE angemessen zu reagieren. Die Israelis haben dann ihre technologische Dominanz genutzt und Iron Dome aufgezogen und damit dann einen Großteil der Raketen abgefangen. Und im Gegenzug haben sie alle erkannten Kommandozentren, Launcher, Munitionsdepots und Raketen-Fabriken in Gaza (und auch in Syrien) mit Präzisionswaffen aufs Korn genommen. Auch dabei gab es zivile Verluste, da die Palästinenser ihren Krempel halt explizit in, um und unter ziviler Infrastruktur deponiert hatten. Und da muss man dann ganz klar auch die Eier in der Hose haben und sagen: "Selbst schuld!"
Damit macht man sich keine Freunde - ist klar. Aber wie gesagt: Man verhandelt nicht mit Leuten, die gekommen sind, um einen zu töten.
Im Gegenzug: Die Besetzung des Iraks (und Afghanistans) und der Versuch da eine halbwegs nach westlichen Gesichtspunkten gestrickte Zivilregierung und Gesellschaft aufzubauen war vorn vorneherein zum Scheitern verurteilt. Ebensowenig würde es den Russen gelingen, die Ukrainer "zu befrieden". Das liegt nicht an der Unfähigkeit der Militärs (außer halt bei den Russen), sondern daran, dass Militär nicht das geeignete Mittel ist, um diese Ziele zu erreichen, sofern man das Militär nicht zum Genozid einsetzt. Und da muss man leider sagen: Das ist bei den Russen halt Programm.
Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Kommt Link-16 (Edit: und natürlich auch die restliche Technik) eigentlich auch mit einer atomaren EMP Detonation in der Atmosphäre klar? Frage ist ernst gemeint.
EMP ist generell ein lokal begrenztes Ereignis direkt im Schlagschatten der atomaren Explosion. Wenn die Technik nicht dem EMP zum Zeitpunkt des Bestehens ausgesetzt war? Dann ist sie nicht betroffen. Gerade im Kalten Krieg hat man auf die EMP-Härtung von sensibler Technik sehr hohen Wert gelegt, aber wie gut das alles funktionierte und in wie weit das heute noch möglich und machbar ist, sei dahingestellt. Die Ionisierung der Atmosphäre nach Atomwaffeneinsatz hat aber generell störende Auswirkungen auf alles, was Funk betrifft und darauf hofft, dass die Ionosphäre was über den Horizont hinaus reflektiert. Link-16 funktioniert nur auf Sichtlinie und baut dann Ad-Hoc-Netzwerke auf. Über die können dann auch Einheiten kommunizieren, die keine direkte Sichtlinie haben. Das ist dann auch etwas weniger vom Zustand der Ionosphäre abhängig. Von daher würde ich mal vermuten, dass Link-16 auch dann noch geht - ggf. halt mit Einschränkungen beim Durchsatz und der möglichen Entfernungen.
Herr Rossi hat geschrieben: ↑25.09.2023, 18:06
Aber schau dir doch die Kriege und Konflikte auf der Erde an. Nur die wenigsten davon werden mit dieser Technik geführt. Primär sind es die USA, die damit 30 Jahre lang die Welt dominiert haben.
Da muss man dann auch wieder dagegen halten, dass gerade die Klein- und Kleinstdrohnen bei Konflikten in Schwellenländern eine zunehmende Rollen spielen. Da hat du dann pro "Waffensystem" Kosten von ein paar hundert Dollar und wer die Drohne(n) hat, der hat einen enormen Vorteil gegenüber dem, der ohne da steht. So ist das bei vielem. Selbst bei Kleinkram wie Body-Armor, Nachtsicht, Optiken für Flinten und so weiter. Man kann sicherlich irgendwo in Afrika mit ein paar rostigen AK-47, einer Handvoll RPG-7 und ein paar Toyota-Pickups eine Regierung stürzen und die Macht an sich reißen. Aber stell denen mal eine Kompanie Marines (ohne jegliche weitere Unterstützung) gegenüber oder ein ähnliches Äquivalent einer anderen ernsthaften Armee und dann kommen die nicht weiter, als bis in Sichtweite vom Ortsschild. Motivation ist eine Sache. Aber selbst beim Infanteristen ist die Technik mittlerweile so weit fortgeschritten, dass man Kram von vor 40-50 Jahren heute nicht mehr weit kommt, wenn der Gegner halbwegs neuer ausgestattet ist und über ordentliches Training damit verfügt.