Regierende Politiker und ihre Besitzer oder ...

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Iron5
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Beitrag von Iron5 » 31.01.2013, 05:21

Lord_Vader hat geschrieben:Hier hätten wir ein gutes Beispiel für nationale Alleingänge:
https://netzpolitik.org/2013/anhorung-i ... bundesrat/
Anhörung im Bundestag: Das Leistungsschutzrecht kommt, letzte Rettung Bundesrat
Von Andre Meister | Veröffentlicht am: 30.01.2013 um 22:04h | 5 Responses

Rechtsausschuss-LSRDas Leistungsschutzrecht für Presseverleger bleibt umkämpft, ist aber auf dem Weg, vom Bundestag beschlossen zu werden. Die heutige Anhörung im Rechtsausschuss machte nur noch einmal die Fronten klar, falls sie jemand noch nicht kannte. Die einzige Chance, das Gesetz noch zu verhindern ist ein Einspruch im Bundesrat – doch der ist trotz rot-grüner Mehrheit nicht sicher.
Die Lobbygeschmierte Schwarz-Geld Regierung hätte gern das Internet von 1996 zurück. So ein Müll dürfte wohl nur hier gedeihen.
Ich hoffe das das Leistungsschutzrecht durchkommt und Google die komplette
deutsche Presse aus dem Index wirft.
"Zyniker" ist ein Wort das Optimisten erfunden haben um Realisten zu kritisieren.

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Toska
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Beitrag von Toska » 31.01.2013, 17:48

Herr Rossi hat geschrieben: Das würde ich mal eher nur billige Polemik und Ablenkung nennen. [...]Klar ist nicht alles perfekt und es gibt unbestreitbar ein Demokratiedefinizit und ich hoffe ernsthaft, dass sich dort aufgrund des momentan Druckes doch mal was ändern wird, aber ingesamt möchte ich die EU absolut nicht missen und halte sie in Summe nach wie vor für einen riesen Fortschritt für Europa.
Rossi, ich bewundere deinen Idealismus. Aber sag mal: Hast du den Artikel gelesen? Forsyth prangert meiner Ansicht nach genau einen Teil der Dinge an, die in Brüssel faul sind: 80% der Gesetze werden von Lobbyisten geschrieben, von ungewählten und demokratisch nicht legitimierten Kommissionen hinter verschlossenen Türen ohne jegliche Transparenz verfeinert und dann dem gewählten (aber machtlosen) EU-Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Die können dann entweder "Ja" oder "Nein" sagen, dürfen aber nichts ändern oder verbessern. Die Redezeit der Abgeordneten ist mit Absicht sehr beschränkt, so dass eine detaillierte Auseinandersetzung mit Gesetzestexten vor einer Abstimmung nicht möglich ist.

Wird wirklich mal ein Gesetz vom EU-Parlament abgelehnt, geht es an die Kommission zurück. Eine Weile später schlägt es dann wieder im Parlament in Form einer Änderungsabstimmung auf. Da liegt dann nicht der komplette Gesetzestext vor (der locker mal 1200 Seiten umfassen kann), sondern ein Papier, dass sich wie folgt liest. Hier mal ein selbst fabriziertes Beispiel:

Antrag zur Änderung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wie aus der Gesetzesvorlage [Datum]. In Artikel 1 entfällt die Vorsilbe "un" im ersten Satz. Im zweiten Satz wird alles ab dem Wort "ist" gestrichen und durch "wünschenswert" ersetzt; Absatz zwei und drei entfallen. In Artikel 4 Absatz eins und zwei wird jeweils das letzte Wort durch "regelt ein Bundesgesetz" ersetzt. Absatz drei wird gestrichen.

Und das geht dann Seitenweise so weiter. Das ganze wird dann eine halbe Stunde vor Sitzungsende vor einem Feiertag oder am Ende eines langen Abstimmungsmarathons dem Parlament vorgelegt und dann macht sich kaum einer die Mühe aufzudröseln, was der Kauderwelsch eigentlich bedeutet. Wird schon seine Ordnung haben.

Mit den paar Zeilen aus dem Beispiel oben würde die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Freiheit des Glaubens, Freiheit des Gewissens und die freie Religionsausübung ab sofort durch Bundesgesetze geregelt werden. So nebenbei schafft es auch die Kriegsdienstverweigerung ab. Da wir ja jetzt eine Freiwilligenarmee haben, braucht man das ja auch nicht mehr.

Wenn du das Beispiel für Realitätsfremd hältst: Auf diese Weise kam die EU-Verfassung zustande, die letzten Endes (zum Glück!) nur als "Vertrag von Lissabon" und nicht wirklich als Verfassung durchgepeitscht werden konnte. Schlimm genug ist jedoch, dass dieses Papier auch ohne den Namen "Verfassung" der EU so weitreichende Rechte einräumt, dass einem schlecht werden kann. Dazu weiter unten mehr.

Ziel der EU ist es, einen Superstaat zu bilden, der alle und jegliche Belange auf seinem Territorium reguliert:
Lassen Sie mich aus den Schriften des EU-Gründers Jean Monnet wörtlich zitieren: „Europas Völker sollten zum Superstaat geführt werden, ohne dass das Volk versteht, was dabei geschieht. Das kann schrittweise erreicht werden. Jeder Schritt wird getarnt durch wirtschaftliche Zwecke, aber schließlich wird er irreversibel zu einer Vereinigung führen.“
...
POLITIK: Wir wollen unser Land zurück! – Seite 2 - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/ausland/tid ... 08324.html
Das kann gut oder schlecht sein. Gut ist es, wenn die "Macher" sich für ihre Taten vor dem gesamten (Wahl-)Volk dafür verantworten müssen und zur Not auch zur Rechenschaft gezogen werden können. Schlecht ist es, wenn das "Stimm-Vieh" nichts - aber absolut nichts - dabei zu sagen hat. Momentan ist es eher schlecht. Selbst Martin Schulz (Parlamentspräsident des EU-Parlaments) sagte jüngst:
Martin Schulz (Parlamentspräsident des EU-Parlaments) hat geschrieben: Wäre die EU ein Staat und würde einen Antrag zum Beitritt in die Europäische Union stellen, dann würde der Antrag abgelehnt. Mangels demokratischer Substanz.
Das einzig demokratisch legitimierte Element der EU-Superregierung ist das relativ machtlose EU-Parlament. Dessen Abgeordnete sind direkt von der Bevölkerung gewählt. Doch die Zusammensetzung des Parlamentes (Sitzverteilung nach Ländern) verstößt gegen demokratische Prinzipien - dank der sogenannten "degressiven Proportionalität", die schon lange so praktiziert wird und im "Vertrag von Lissabon" erneut festgeschrieben wurde. Deutschland hat z.B. 96 Sitze (ein Sitz pro 859.000 Einwohner), wogegen Malta (0,4 Mio. Einwohner) 6 Sitze hat. Bedeutet: Ein Sitz pro 67.000 Einwohner. Kleinere Länder haben somit einen überproportionalen Einfluss. Diese Ungleichgewichte führen auch zu Verzerrungen bei der Repräsentation einzelner nationaler Parteien im EU-Parlament: So benötigte etwa bei der Europawahl 2009 die italienische PdL rund 10,8 Millionen Stimmen für 29 Sitze (372.000 Stimmen pro Sitz), die slowakische KDH rund 90.000 Stimmen für 2 Sitze (45.000 Stimmen pro Sitz).

Um nochmal auf den "Vertrag von Lissabon" zurückzukommen:

- Der Vertragstext ist unleserlich, da er nur aus Änderungen und Kommentaren des Verfassungsvertrages von 2005 besteht.

- EU-Präsident: Wird in einem völlig undemokratischen Verfahren berufen und erhält weitreichende Kompetenzen.

- EU-Recht bricht nationales Recht: Die nationalen Parlamente werden zu reinen Umsetzungsinstanzen von EU-Recht. Das deutsche Grundgesetz wird damit außer Kraft gesetzt und alle Mitgliedsländer verlieren ihre existentielle Staatlichkeit.

- Militarisierung Europas: Regelt gemeinsame Außen-, Sicherheits- u. Verteidigungspolitik; EU und NATO werden praktisch miteinander verschmolzen. Die EU kann eine eigene Armee aufbauen und Kriege erklären, an denen sich jedes EU-Mitglied beteiligen muss. (!)

- Totaler Neoliberalismus: EU übernimmt neben der Währungspolitik die vollständige Hoheit über die Zoll- und Handelspolitik sowie die Wettbewerbsregeln des Binnenmarktes (Artikel 3 AEUV). Unter Stichwörtern wie Kapital-, Warenverkehrsfreiheit und Herkunftslandprinzip wird jedem EU-Mitgliedsland die Möglichkeit genommen, mit Zollschranken auf Lohndumping oder Marktungleichheiten zu reagieren.

- Ende der Demokratie durch vereinfachtes Änderungsverfahren: Artikel 48 Abs. 6 EUV ermöglicht es fortan dem demokratisch nicht legitimierten EU-Rat, „die Änderung aller oder eines Teiles des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ zu beschließen. Dabei müssen die nationalen Parlamente oder das Europäische Parlament nicht zustimmen. Die Gewaltenteilung ist aufgehoben und damit ein wesentliches Grundprinzip der Demokratie. Damit wäre jede Stimme, die z.B. deutsche Bürger bei Wahlen abgeben, völlig entwertet, da die nationalen Parlamente der EU nicht mehr reinreden dürfen. Nationale Parlamente dürfen nur noch abnicken, was "von oben" kommt. Und "die Jungs da oben" dürfen Ihre eigenen Regeln, Gesetze und Arbeitsweisen selbst festlegen.

Oh, und so ganz nebenbei:

- Wiedereinführung der Todesstrafe: Im Falle von Aufständen, im Krieg oder bei Kriegsgefahr können persönliche Freiheitsrechte eingeschränkt und die Todesstrafe wieder eingeführt werden.
Jens-Peter Bonde, Mitglied des Europäischen Parlaments hat geschrieben: Normallerweise schützt eine Verfassung die Bürger vor den Politikern. Sie schränkt ein, was Politiker zwischen Wahlen beschließen könnten. Die EU-Verfassung und der Vertrag von Lissabon sind anders. Da werden die Politiker vor dem Einfluss der Wähler geschützt.
Jean-Claude Juncker, Vorsitz der Euro-Gruppe hat geschrieben: Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt..
Valery Giscard d’Estaing über den Vertrag von Lissabon (Vater der EU-Verfassung, ehemaliger Präsident Frankreichs) hat geschrieben: Die Öffentlichkeit wird dazu gebracht werden, Vorschlägen zuzustimmen, die sie überhaupt nicht kennt, und wir wagen es auch nicht, sie zu veröffentlichen... alle früheren Vorschläge sind im neuen Text enthalten, nur versteckt und verschleiert.
Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Argumente gegen die Zustimmung zum Vertrag über eine Verfassung für Europa hat geschrieben: Die Europäische Grundrechtecharta, die im Dezember 2000 in Nizza deklariert wurde und jetzt (mit geringen Änderungen) als Teil II im Verfassungsvertrag steht, ist der schäbigste Menschenrechtstext, der jemals in der freien Welt formuliert wurde.
Quellen: http://www.eu-vertrag-stoppen.de/zitate/zitate.html & http://www.eu-diktatur.com/

Falls es noch nicht reicht:

- Abschaffung der Pressefreiheit: Eine von der EU-Kommission einberufene Beratergruppe hat empfohlen, die sich rasch verändernde Medienwelt stärker vom Staat überwachen zu lassen, um Pluralismus und Qualität zu wahren. Die Gruppe unter Vorsitz der früheren lettischen Präsidentin Varia Vike-Freiberga schlug am Montag vor, dass künftig die Europäische Grundrechteagentur die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in den Mitgliedstaaten der EU kontrollieren solle. Das EU-Parlament könne dann Empfehlungen über geeignete Maßnahmen treffen, heißt es in dem Bericht, den die für „digitale Fragen“ zuständige Kommissarin Neelie Kroes in Auftrag geben hatte. Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/euro ... 32982.html

Rossi, ich teile deinen Idealismus nicht. Aber so etwas ein "Demokratiedefinizit" zu nennen, ist in etwa so, als hätte man Hitlers Machtergreifung ebenfalls ein "Demokratiedefinizit" genannt - und darauf gehofft hätte, dass sich (deine Worte) "dort aufgrund des momentan Druckes doch mal was ändern wird". Für solche Ansichten fehlt mir dann doch der Optimismus.

Argumente wie Vereinheitlichung der Bürokratie, gemeinsames Führerscheinwesen, gemeinsame Währung, Vereinfachung des innereuropäischen Warenverkehrs ... alles gut und schön. Das hätte man auch anders erreichen können! Und da halte ich ebenfalls dagegen, dass Hitler die Autobahnen gebaut, innerhalb kürzester Zeit für Vollbeschäftigung und für eine umfassende Familienpolitik gesorgt hat. Gut, danach wurde es dann "ungemütlich" (Untertreibung des Jahrtausends), aber den Punkt wird die EU auch noch erreichen.

Momentan sind es leider NUR die Briten, die dagegen Kontra geben. Viele davon (allen vorweg Premierminister Cameron) aus noch nicht mal den richtigen Gründen. Andere (wie Nigel Farage von der UKIP) aus den meiner Ansicht nach richtigen Gründen: Mehr Zusammenarbeit in Europa? Ja, gerne. Aber SO nicht.
Grüße,

Toska
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Herr Rossi
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Beitrag von Herr Rossi » 31.01.2013, 19:09

@Toska:

Habe ich gelesen und ich bin auch keineswegs der Meinung, dass in der EU alles gut läuft. Viele Punkte deiner Kritik laufen jedoch auch auf nationaler Ebene nicht viel besser. Auch dort hängen in sehr vielen Gesetzestexten mehr oder weniger direkt Lobbyisten mit dran, wenn sie nicht teilweise sogar komplett von denen geschrieben werden. Gesetze werden bewusst entgegen den Inhalten des Grundgesetzes erlassen usw usf... Beispiele kennen wir wohl alle genug.

Und noch zu der Kommission: Die ist natürlich nicht direkt demokratisch gewählt, allerdings werden deren Mitglieder immerhin von demokratisch gewählten Regierungen eingesetzt. Das kann man meiner Meinung nach durchaus noch demokratisch nennen, auch wenn es keineswegs meinem Ideal entspricht.

Der Punkt, um den es mir geht, ist der, dass ich das Gesamtkonstrukt EU für ein erstrebenswertes Ziel erachte. Es ist absolut verbesserungswürdig, definitiv, aber es hat eins seiner wichtigsten Versprechen gehalten: kein Krieg mehr unter den europäischen Nationalstaaten (die Teil der Gemeinschaft sind) und -weil ich eben nicht Idealist bin- habe ich viel zu viel Respekt vor der Geschichte und wenig Glauben an den Menschen an sich als dass ich mir bei einem Auseinanderbrechen nicht sehr schnell auch wieder Kriege vorstellen könnte.

Edit: Noch ergänzend möchte ich übrigens darauf hinweisen, dass kein EU Gesetz nationale Verfassungen brechen kann. Dieses bedarf (wohl) in den meisten Ländern einer 2/3 Mehrheit. Wenn also wesentliche Teile unseres Grundgesetzes aufgrund von EU Vorgaben geändert werden, dann sollte sich der deutsche Michel vielleicht erstmal an seine eigene Nase packen und sich fragen was er da denn so tolles mit seinem demokratischen Rechten anstellt, wenn er Parteien eine Mehrheit gibt, die scheinbar seine Vorstellungen von Politik nicht nachkommen... Demokratie schützt leider prinzipiell erstmal NULL vor Unrecht, Unterdrückung und Unmenschlichkeit.
Demokratie hat jedoch einen Nebeneffekt, der meiner Meinung nach schon viel Schlimmes verhindert: Ein konstanter Personalwechsel an den entscheidenen Positionen einer Gesellschaft.

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Toska
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Beitrag von Toska » 31.01.2013, 22:13

Herr Rossi hat geschrieben: Und noch zu der Kommission: Die ist natürlich nicht direkt demokratisch gewählt, allerdings werden deren Mitglieder immerhin von demokratisch gewählten Regierungen eingesetzt. Das kann man meiner Meinung nach durchaus noch demokratisch nennen, auch wenn es keineswegs meinem Ideal entspricht.
Im Organigramm des EU-Machtapparates steht an unterster Stelle das EU-Parlament mit seinen demokratisch direkt vom Volk legitimierten Vertretern. Und selbst da hapert es schon, da die Zusammensetzung des Parlaments gegen demokratische Prinzipien verstößt und die Befugnisse des Parlaments extrem eingeschränkt sind. Auf alles, was im Europäischen Rat oder in der Europäischen Kommission stattfindet, hat der wahlberechtigte EU-Bürger nur über vier oder fünf zwischengeschaltete Instanzen Einfluss. Das erste Kernelement dieser zwischengeschalteten Instanzen sind die nationalen Parlamente. Die aber letztendlich ebenso zu Abnick-Institutionen kastriert worden sind, wie das EU-Parlament.

Der EU-Bürger ist da wie der Frosch im Kochtopf. Da die Temperatur über viele Jahre hinweg nur langsam steigt, merkt man nicht, dass bald der Siedepunkt erreicht ist. Halt "Schicklgruber 1933 - Mk II". Ja, ich bin da mal ganz polemisch, denn in meinen Augen mag das mal demokratisch ausgesehen haben, aber der Lack ist lange abgeblättert. Das Ganze ist ein Perpetuum Mobile, in dem sich das einmal (ursprünglich!) demokratisch legitimierte Mittelstück verselbständigt hat - um sich dann frei von jeglicher direkten demokratischen Limitierung zum Zweck der eigenen Machterhaltung abzukoppeln. Das politische Organigramm der EU und der untergegangenen UdSSR haben zu viele Übereinstimmungen. Und die wenigen Nuancen, die heute noch anders sind, auch die werden im Laufe der Zeit noch erodiert werden. Da bin ich mal ganz defätisisch.
Herr Rossi hat geschrieben: Edit: Noch ergänzend möchte ich übrigens darauf hinweisen, dass kein EU Gesetz nationale Verfassungen brechen kann. Dieses bedarf (wohl) in den meisten Ländern einer 2/3 Mehrheit.
Sollte man meinen. Ist leider nicht so:
Der Vorrang des EU-Rechts

Laut dem Grundsatz des Vorrangs hat das EU-Recht ein höheres Gewicht als das Recht der Mitgliedstaaten. Der Grundsatz des Vorrangs gilt für alle EU-Rechtsakte mit verbindlicher Wirkung. Die Mitgliedstaaten dürfen also keine nationale Rechtsvorschrift anwenden, die im Widerspruch zum EU-Recht steht.

Der Grundsatz des Vorrangs gewährleistet, dass das EU-Recht ein höheres Gewicht als das nationale Recht hat. Er ist ein wesentlicher Grundsatz des EU-Rechts. Genau wie der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung ist er nicht in den Verträgen festgelegt, wurde aber vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anerkannt.
[...]
Steht eine nationale Rechtsvorschrift im Widerspruch zu einer EU-Rechtsvorschrift, so müssen die Behörden der Mitgliedstaaten die EU-Rechtsvorschrift anwenden. Das nationale Recht wird weder für ungültig erklärt noch außer Kraft gesetzt, es wird lediglich seine verbindliche Wirkung ausgesetzt.

Zu einem späteren Zeitpunkt hat der Gerichtshof präzisiert, dass der Vorrang des EU-Rechts für alle nationalen Rechtsakte gilt, unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem EU-Rechtsakt angenommen wurden.
[...]
Der Vorrang des EU-Rechts über das nationale Recht ist absolut / unumschränkt. Er gilt für alle EU-Rechtsakte, unabhängig davon, ob sie aus dem Primärrecht oder dem abgeleiteten Recht hervorgegangen sind.

Quelle: http://europa.eu/legislation_summaries/ ... 548_de.htm
Eine genauere Betrachtung und Analyse wie das im Verhältnis zum deutschen Grundgesetz steht und was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt, findet man hier: http://www.jurawelt.com/studenten/skripten/eur/1824
Herr Rossi hat geschrieben: Der Punkt, um den es mir geht, ist der, dass ich das Gesamtkonstrukt EU für ein erstrebenswertes Ziel erachte. Es ist absolut verbesserungswürdig, definitiv, aber es hat eins seiner wichtigsten Versprechen gehalten: kein Krieg mehr unter den europäischen Nationalstaaten (die Teil der Gemeinschaft sind) und -weil ich eben nicht Idealist bin- habe ich viel zu viel Respekt vor der Geschichte und wenig Glauben an den Menschen an sich als dass ich mir bei einem Auseinanderbrechen nicht sehr schnell auch wieder Kriege vorstellen könnte.
Schön, dass du mit deiner Einschränkung den Balkan-Krieg direkt ausgeklammert hast. Doch gerade die Schieflage der Wirtschaft in der momentanen Krise (und die Unfähigkeit der Politik, diese zu lösen) lässt einige Politiker im Süden Europas wieder die Kriegstrommeln anwerfen. Noch ist das nur billige Polemik für die Stammtische, aber die alten Ressentiments des klein-staatlichen Europas sind noch alle da.

Ich habe ebenfalls ordentlich Respekt vor der Geschichte und sehe daher (eben durch die EU) die gleichen Gefahren heraufziehen, die sie eigentlich verhindern sollte. Und ich habe ebenso wenig Vertrauen in das Gute in den Menschen (welche in der EU das Sagen haben), um ihnen zu unterstellen, dass sie nur unser Bestes wollen. Das sind Machtmenschen, Politiker und Funktionäre. Einmal erhaltene Macht geben die nie wieder freiwillig ab. Sie geben sie höchstens an den nächsten Machtmenschen weiter. Die zügellose Machtausweitung der EU in alle Lebensbereiche sehe ich daher als größte Gefahr für Freiheit, Demokratie und Frieden in Europa an.
Herr Rossi hat geschrieben: kein Krieg mehr unter den europäischen Nationalstaaten
Zu welchem Preis? Klar, die Bundeswehr wird recht zurückhaltend eingesetzt. Dennoch ist seit 1990 kein Jahr vergangen, in dem die Bundeswehr nicht durchgehend in mindestens einem Auslandseinsatz war. Und das waren nicht immer nur humanitäre Einsätze, sondern durch die Bank auch Einsätze, die uns bei der geringsten Eskalation in einen größeren regionalen Krieg hätten ziehen können. Zum Beispiel während des Golfkrieges von 1991 beim Schutz der Türkei vor Angriffen aus dem Irak durch das in die Türkei verlegte Jagdbombergeschwaders 43 aus Oldenburg.

Zur Zeit laufen 13 (!) Auslandseinsätze gleichzeitig (Türkei und Mali schon eingerechnet, da die Truppen bereits unterwegs sind). In viele dieser Einsätze sind wir erst durch "Peer-Pressure" der EU mit rein gezogen worden.

Trotz aller Auslandseinsätze einzelner EU-Mitgliedsländer ist die EU noch nicht mal auf dem eigenen Territorium in der Lage, die Besetzung von EU-Territorium (Zypern) durch eine fremde Macht (Türkei) zu lösen. Ebenso wenig kann die EU in der unmittelbaren Nachbarschaft funktionierende Staatsmodelle für den Kosovo und Bosnien durchsetzen. Nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO steht die EU da nach wie vor in einer Bringschuld. Doch die EU kann sich weder dazu aufraffen, die De-Facto-Separierung dieser beiden Staaten anzuerkennen, noch kann sie militärisch deren staatliche Einheit durchsetzen. Warum? Der gemeinsame Nenner der europäischen Politik ist die Immobilität. Das kann man nun wirklich nicht als Fortschritt innerhalb der europäischen Beziehungen anpreisen. Denn: Auch ohne EU hätte es sicherlich einen Balkan-Krieg gegeben und keine direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Europäischen Nationalstaaten. Vielmehr drohen an sich ständig an der Schnittstelle zwischen EU und dem nahen Osten - in der Türkei - Konflikte. 1991 war es ein potentieller Angriff des Iraks, zwischendurch die Unabhängigkeitsbestreben der Kurden, heute Bürgerkrieg in Syrien, morgen möglicherweise ein Iranischer Angriff auf Israel und die Türkei. In all diesen Fällen zeigte und zeigt sich die EU als hilflos, uneinig, zerstritten und ohne Antworten. Auf Freiheitsbestrebungen innerhalb der EU (Unabhängigkeitsbewegung der Katalanen, negativ ausgefallenes Volksreferendum der Iren zum Vertrag von Lissabon) reagiert man mit Druck, Drohungen und anti-demokratischen Maßnahmen. Selbst wenn die Entscheidungsträger der EU mal eine Antwort zu den vielen Problemen hätte, würde sie von der Mehrheit der Europäischen Bürger getragen? Eher nein. Denn es wird nie zusammenwachsen, was nicht zusammen gehört.

Das geht halt eben nur, an dem man das Volk weder befragt, noch ihm die Möglichkeit gibt, in irgend einer Art und Weise die Entscheidungen beeinflussen zu können. Und da schließt sich für mich der Kreis: Demokratische Legitimierung ist weder erwünscht, noch gewollt.
Grüße,

Toska
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Beitrag von Herr Rossi » 01.02.2013, 07:56

@Toska:

Es ging mir um Verfassungsrecht. Zwar gebe ich zu, dass ich da leicht daneben lag, denn mir war bisher nicht bewusst, dass selbst dort EU Recht ggf. vor nationales Recht gestellt werden kann, aber im Kern trifft meine Aussage schon halbwegs zu. Das steht auch so in dem von dir verlinkten Text:
1. Solange II-Urteil
Die Ermächtigung auf Grund des Art. 24 Abs. 1 GG ist nach Ansicht des BVerfG aber nicht ohne verfassungsrechtliche Grenzen. Die Vorschrift ermächtigt nicht dazu, im Wege der Einräumung von Hoheitsrechten für zwischenstaatliche Einrichtungen die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufzugeben. Dies gilt namentlich für Rechtsetzungsakte der zwischenstaatlichen Einrichtung, die wesentliche Strukturen des Grundgesetzes aushöhlten, insbesondere die Rechtsprinzipien, die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zugrundeliegen. Art. 24 Abs. 1 GG gestattet nicht vorbehaltlos, diese Rechtsprinzipien zu relativieren. Sofern und soweit mithin einer zwischenstaatlichen Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsgewalt eingeräumt wird, die im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland den Wesensgehalt der vom Grundgesetz anerkannten Grundrechte zu beeinträchtigen in der Lage ist, muß ein Grundrechtsschutz gewährleistet sein, der nach Inhalt und Wirksamkeit dem des Grundgesetzes im wesentlichen gleichkommt.
Also mal eben über den Umweg der EU bei uns die Grundrechte aushebeln geht nicht, denn das dürfte wohl ganz klar "die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland" berühren. Dafür braucht es nach wie vor das nationale Parlament.

Wieso sollte ich den Balkankrieg mit benennen? Es unterstreicht doch vielmehr meine Aussage, wonach die EU innerhalb ihrer Strukturen für Frieden gesorgt hat. Der Balkan lag nunmal ausserhalb. Man kann übrigens durchaus behaupten, dass der Krieg durch nationale Alleingänge -u.A. durch Deutschland- geschürt wurde.

Zu welchem Preis? Na was hat das mit der EU zu tun? Du schreibst es doch selbst: Diese Einsätze laufen fast alle unter der Regide der NATO. Deine weitere Ausführung will ich übrigens gar nicht in Frage stellen. Ich stehe den Einsätzen mindestens genauso negativ gegenüber wie du.
Die von dir genannten Konflikte innerhalb der EU sind nach wie vor in erster Linie nationale Konflikte. Immerhin darf man wohl behaupten, dass bei den beiden großen Konflikten (Nordirland, Spanien) momentan nicht mehr gemordet wird. Die Konflikte sind damit sicherlich nicht absolut beendet, aber ich betrachte das ganz klar erstmal als eine Verbesserung der Lage.
Denn es wird nie zusammenwachsen, was nicht zusammen gehört.
Na den Satz überlegst du dir aber vielleicht noch mal im Kontext der Menschheitsgeschichte, gell? ;P

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Beitrag von Toska » 02.02.2013, 04:59

Herr Rossi hat geschrieben: Die von dir genannten Konflikte innerhalb der EU sind nach wie vor in erster Linie nationale Konflikte. Immerhin darf man wohl behaupten, dass bei den beiden großen Konflikten (Nordirland, Spanien) momentan nicht mehr gemordet wird. Die Konflikte sind damit sicherlich nicht absolut beendet, aber ich betrachte das ganz klar erstmal als eine Verbesserung der Lage.
Sorry wenn ich da unscharf formuliert habe. Mir geht es nicht um Nordirland (Teil des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland), sondern um die Parlamentarische Republik Irland mit der Hauptstadt Dublin.

Als die EU-Verfassung, bzw. der Vertrag von Lissabon in Irland 2008 zur Ratifizierung anstand, haben die Iren (gemäß den Vorgaben ihrer Verfassung) das Volk abstimmen lassen. Die Iren haben sich mit 53.4% gegen die Ratifizierung ausgesprochen. Nur 10 von 43 Wahlkreisen stimmten für die Ratifizierung. Die EU hat daraufhin die Irische Politik gescholten und ihr den Auftrag gegeben, so lange und so oft neu abstimmen zu lassen, bis das Ding durch ist - ansonsten würden die Subventionen zusammengestrichen. Das ist undemokratisch, volksverachtend und diktatorisch. So wurde 2009 dann nach langen Pro-Euro Kampagnen und schwerster Lobby-Arbeit erneut ein Referendum abgehalten und das Drecksding ging diesmal mit 67,1% durch (zwei Wahlkreise stimmten mit nein, 42 knapp dafür, einer - Dublin - überwiegende dafür).

Den Katalanen teilte man mit: Sollten sie sich von Spanien abspalten, würden sie aus der EU ausgeschlossen und dürften nicht mit Aufnahme in die EU, Anerkennung ihrer Staatlichkeit oder irgend einer Form der Unterstützung durch die EU rechnen. Auch dort wird Volkes Willen mit Füßen getreten und auch nicht auf die grundlegenden Probleme eingegangen, die Ursache der separatistischen Bewegung sind.
Herr Rossi hat geschrieben: Also mal eben über den Umweg der EU bei uns die Grundrechte aushebeln geht nicht, denn das dürfte wohl ganz klar "die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland" berühren. Dafür braucht es nach wie vor das nationale Parlament.
Ich bin da eher skeptisch. Einerseits wegen der angeführten Beispiele und des klaren Kurses der EU hin zu einem Super-Staat. Dem steht in Deutschland möglicherweise noch das Grundgesetz entgegen und in anderen Ländern ggf. deren Gegenstück. Diese Hindernisse muss die EU ausräumen. Dazu sind drei offensichtliche Wege möglich: Volksabstimmungen, Entscheidungen der Parlamente der Mitgliedsländer, oder eine Verordnung der EU, die EU-Recht über jegliches Recht in den Mitgliedsländern stellt. Letzteres ist bereits in Kraft und muss nur noch entsprechend ausgelegt und interpretiert werden. Ich habe da sehr wenig Hoffnung, dass sich Karlsruhe dem verwehren wird. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher alles zum Thema EU mit einem "Ja, aber ..." geschluckt. Und das "aber" ist immer kleiner geworden. Und den Volksverrätern im Bundestag traue ich so weit, wie ich deren Dienstwagen werfen könnte. Die Tage des Grundgesetzes sind gezählt - so oder so.
Herr Rossi hat geschrieben:
Toska hat geschrieben:Denn es wird nie zusammenwachsen, was nicht zusammen gehört.
Na den Satz überlegst du dir aber vielleicht noch mal im Kontext der Menschheitsgeschichte, gell? ;P
Warum sollte ich? Die Geschichte bestätigt mich geradezu in meinen Ansichten zu dem Thema.

Schau dir mal alle Vielvölkerstaaten der Geschichte an. Ich brauche da nur aus dem Fenster zu schauen. 1830 zerfiel Großkolumbien und aus den Bruchstücken formten sich im Laufe der Zeit die heutigen Staaten Kolumbien, Ecuador, Panama, Venezuela - sowie Teile von Peru und Guyana. Hat gerade mal 7-11 Jahre Bestand gehabt (je nach dem, ob man ab 1819 oder 1823 als Ausgangspunkt nimmt). Wenden wir den Blick nach Europa und die Vielvölkerstaaten dort und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft: Die UdSSR bestand von 1922-1991, die Tschechoslowakei von 1918-1939 und 1945-1992, Jugoslawien von 1918–1941 und von 1943/45–1991/92. Oder wie war das mit Großbritannien und Schottland, Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich? Das sind nur die Beispiele auf europäischem Boden und in unmittelbarer Nachbarschaft.

Schaut man sich sonst in der Welt um, findet man überwiegend Beispiele, wo durch den Kolonialismus Vielvölkerstaaten entstanden. Da will ich nicht mal bis zu Alexander dem Großen zurückgehen. Aber was da kolonial zusammengekittet wurde, ist entweder (wie Indien & Pakistan) in militärischen Konflikten auseinander gefallen, oder hat sich mehr oder weniger friedlich (Sudan, Süd-Sudan) aufgespalten. Eines der wenigen Beispiele, in denen ein Vielvölkerstaat einigermaßen gut funktioniert, findet man in der Republik Südafrika - doch ohne eine herausragende Persönlichkeit wie Nelson Mandela in der schwierigen Phase des Übergangs hätte das auch bös' enden können. Es gibt noch mehr Vielvölkerstaaten in Afrika, aber viele davon sind (ebenso wie Indonesien) eher recht unruhige Kandidaten mit einem Haufen Problemen und dem großen Potential für separatistische Umtriebe.

Das ist genau der Punkt, den ich da anspreche: Geht es der Wirtschaft gut und bekommen alle gleichermaßen viel vom Kuchen ab; sind die Steuern und Lebensbedingungen durch die Bank weg akzeptabel, so mag ein Vielvölkerstaat funktionieren. Dennoch sind da noch immer regionale und kulturelle Unterschiede, vielleicht sogar verschiedene Sprachen und komplett unterschiedliche Philosophien und Lebenseinstellungen vorhanden. Thema Religion klammere ich da mal aus, obwohl sie allzu oft in solchen Fällen als teilender Faktor politisiert wird. Schau dir die Schweiz an: Da hast du auch verschiedene Sprachen und verschiedene kulturelle Hintergründe. Dort klappt es aber, da sich alle in erster Linie als Schweizer verstehen. In Europa ist das nicht der Fall. Wieviel hat man "mit den anderen" gemeinsam? Gibt es eine gemeinsame kulturelle Identität oder eine gemeinsame Geschichte und Dinge, die mehr verbinden als spalten? Hey, selbst in der gut funktionierenden Schweiz krachte es, als über einen Beitritt in den Wirtschaftsraum der EU abgestimmt wurde. Ziemlich genau an der Sprachgrenze entlang verlief auf einmal der Graben bei der Abstimmung, als die Deutschschweizer Mehrheit mit ihrem "Nein" und die mehrheitlich mit "Ja" abstimmende Westschweiz dastanden.

Die gemeinsame Geschichte, die alle Nationen in Europa mit ihren Nachbarn haben, ist größtenteils durch Kriege belastet, die bis vor die Völkerwanderung zurückgehen. Die alten Ressentiments sind hüben wie drüben noch alle da. Jeder war irgendwann mal mit jedem im Krieg, von diesem oder jenen besetzt, wurde fremd-regiert, ausgebeutet und gedemütigt. In guten Zeiten frotzelte man drüber ("Wie viele Soldaten braucht man, Paris zu verteidigen? Keine Ahnung, hat noch keiner versucht!"), in schlechten Zeiten werden wieder alle Missetaten gegeneinander aufgerechnet. Weil es halt alles noch da ist und nie in Vergessenheit geraten wird. Die Franzosen verachten die Spanier und Italiener, beäugen Deutschland mit verletztem Stolz und Argwohn, mögen die Briten nicht, weil sie Napoleon weggeputzt haben und sie bei Dünkirchen im Stich ließen. Die Polen haben nach wie vor ihren nationalen Minderwertigkeitskomplex, da sie zu oft von der Landkarte getilgt worden sind oder als Fußabtreter für andere Nationen herhalten mussten. Von den Briten und Italienern mal nicht zu reden. Da sieht es ähnlich aus und auch dort beobachtet man die Nachbarn mit hochgezogener Augenbrauen, verletztem Nationalstolz und Erinnerungen an vergangene Imperien. Die einzigen, die vielleicht wirklich überwiegend positive Hoffnungen an die EU knüpfen, sind die Belgier, da sie seit fast einem Jahrzehnt keine gewählte Regierung mehr hatten, die eine komplette Legislaturperiode geschafft hat.

Ist ein Europäer im Ausland und wird gefragt: "Was bist du denn für einer?" und einer antwortet: "Ich bin Europäer.", so wissen alle: "Ach, du bist Deutscher?" Weil kein anderer EU-Bürger außer einem Deutschen das sagen würde. Die sind alle in erster Linie ihrem Nationalstaat verbunden. Und selbst die Anzahl der Deutschen, die sich im Ausland als "Europäer" vorstellen, dürfte in den letzten 10 Jahren rapide abgenommen haben - da gehöre ich z.B. auch dazu. Das dazu nötige "Wir-Gefühl" für den Staat Europa als solchen ist nach einer gewissen Anfangseuphorie einfach nicht da.

Zwingt man jetzt alle EU-Bürger in diesem neuen Super-Nationalstaat zusammen, wird das früher oder später auseinander fliegen: Mangels des verbindenden "Wir-Gefühls". Spätestens dann, wenn einige meinen, nicht mehr genug vom Kuchen abzubekommen, ungewöhnlich hohe Steuern bezahlen müssen und vielleicht gleichzeitig noch Abstriche an der Lebensqualität machen müssen, oder der Arbeitsplatz und/oder die Renten (sofern vorhanden) ständig in Gefahr sind. Genau das haben wir heute schon und mit etwas Glück wird das Thema Europa als Super-Staat schon mit dem Ende der momentanen Finanz-Krise vom Tisch sein. Selbst zu besten Zeiten (sagen wir mal 1990-2002) konnte die EU sich nicht auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, gemeinsame Wirtschaftspolitik oder eine gemeinsames Vorgehen bei jegwelchem Thema einigen. In der Krise klappt das noch weniger. Doch wenn wir Pech haben, hält der ganze Zirkus so lange wie die Sowjetunion. Dann aber vermutlich nur als das totalitärer, repressiver und demokratiefeindlicher Zentralstaat, zu dem sich sich langsam entwickelt. Und wenn es dann auseinander fliegt, dann kommen all die alten Geschichten wieder hoch. Weil selbst der Kitt der Jahrzehnte des friedlichen Nebeneinander die "alten Wunden" nie wirklich schließen konnte. Dann bezieht sich das "Wir-Gefühl" nur noch auf einen selbst und die unmittelbare Umgebung und es heißt wieder "Die gegen Uns". Politiker, die das nicht einsehen wollen, haben den Bezug zum "Mann auf der Straße" verloren und leben in einem Elfenbeinturm. In der Not ist jedem das Hemd selbst am nächsten und von tollen Idealen wie einem geeinten Europa und/oder einer gemeinsamen Währung will dann keiner mehr was wissen.

Rückblickend wird man sicher irgendwann mal sagen, das Europa als Super-Staat von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Im kleinen (Frankreich, Benelux, Deutschland und Niederlande) hätte es vielleicht - aber nur vielleicht - als politische Union funktioniert. Selbst dann wäre der Nationalstolz der Franzosen die große Bremse und das größte Hindernis gewesen. Direkt eine Willensunion von 27 Nationalstaaten aufzuziehen - ohne die möglichst kohärente Einheit von Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik zunächst im Kleinen zu versuchen - ist dagegen vermessen und pures Wunschdenken einer machtgeilen Elite. Sowas geht dann nur durch die Hintertür, mit Gewalt und undemokratischen Mitteln. Und GENAU DAS wussten schon die Gründerväter der EU wie Giscard d’Estaing - ansonsten hätte er nicht gesagt: "Die Öffentlichkeit wird dazu gebracht werden, Vorschlägen zuzustimmen, die sie überhaupt nicht kennt, und wir wagen es auch nicht, sie zu veröffentlichen... alle früheren Vorschläge sind im neuen Text enthalten, nur versteckt und verschleiert."
Grüße,

Toska
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Optimismus ist lediglich ein Mangel an Information
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