Buch: "Gekaufte Journalisten"

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Toska
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Beitrag von Toska » 19.02.2017, 02:28

Icho Tolot hat geschrieben:Es liegt doch auf der Hand, dass die Presse, die sich durch Werbung finanziert, immer ein bisschen darüber nachdenkt, ob das eine oder andere Thema vielleicht den Kunden verärgert. Dies ist ein Phänomen, das durch die sinkenden Abonnenten-Zahlen verschärft wird. Die freie Presse ist nur dann frei, wenn die Leser journalistische Unabhängigkeit finanzieren.
Aber: wie sind dann kritische Artikel zum Beispiel zum Abgas-Skandal zu erklären?
Wenn ich mich recht entsinne: Unsere Presse hat doch erst darüber berichtet, als die Suppe in den USA hochkochte und die Auslandspresse schon mit dem Holzhammer auf VW einschlug.

Ich bin mit den genauen Anfängen des Abgas-Skandals nicht mehr so ganz vertraut, aber ich meine mich da an folgendes zu Entsinnen. Und lasse mich gerne berichtigen, wenn ich das falsch in Erinnerung habe:

- Verantwortlichen in der BuReg war bereits vorher bekannt, dass VW (und fast alle anderen auch) bei den Abgaswerten schummeln.
- Es war klar, dass dadurch sowohl der Käufer als auch der Staat beschissen wird und es zu Mindereinnahmen bei Steuern und Abgaben führt.
- VW machte sich dabei gleich an mehreren Fronten strafbar und sowohl Käufer als auch Staat hätten Regressanspruch.

Trotzdem entschied man, nicht genauer hin zu sehen. Wie weit unsere Presse davon gewusst hat (bevor das in den USA hochkochte) sei dahin gestellt. Selbst wenn: Die "etablierten" deutschen Medien hätten an einer investigativen Berichterstattung aus eigener Initiative wenig Anlass. Sonst verscherzt man es sich mit der VW-Anzeigenabteilung. Die Politik in NRW? So gut wie die mit VW "vernetzt" sind: Keine Chance. Gleiches gilt für andere Bundesländer mit Stammsitzen von VW-Marken oder mit der SPD am Ruder jenes Bundeslandes.

Sieht man ja auch jetzt wieder: In Deutschland wird die Schummelei für VW nahezu folgenlos bleiben. Die betroffenen Kunden schauen bei uns auch eher in die Röhre und weder Presse noch Politik juckt das sonderlich.
Icho Tolot hat geschrieben: Alles schicken ihre Lobby-Truppen los, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu formen, auch die selbst ernannten alternativen Bewegungen.
So ist es. Aber ich würd das nicht nur am VW-Skandal festmachen. Die Medien haben halt ihre Filterblasen und wollen es sich mit Geldgebern, Anzeigenkunden oder der BuReg nicht verscherzen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Wenn alles nichts hilft, schiebt man "mangelndes öffentliches Interesse" an solchen Nachrichten vor.

In Frankreich scheint es überall zu brennen und die Auslandspresse schreibt schon von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen und Auschreitungen". Findet man in D-Land vermutlich weniger berichtenswert. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren und es wird sicher weniger mit "Lobby" als mit regierungsfreundlicher Berichterstattung zu tun haben.

Die andere ganz große Filterblase der deutschen Berichterstattung sind ja generell alle Auslandseinsätze der BW. Insbesondere jene mit eindeutigem Kampfeinsatz. Sofern nicht ein Oberst mal wieder einen Luftschlag auf Zivilisten nicht mehr vertuschen kann, oder es so spektakulär knallt wie beim Karfreitagsgefecht, dass sogar die Auslandspresse darüber schreibt. Erst dann schwappt da was rüber. Dass jemand endlich auspackt, dass das KSK in Afghanistan für das US Special Forces Command "targeted killings" (wetjobs) ausführte? Ich rechne nicht mehr mit einer Berichterstattung darüber. Der Einsatz in Mali? Keinen Piep in der Presse - es sei denn der Bundestag verhandelt mal wieder wie viele geschickt und wie lange sie bleiben sollen. Da schnallt sich keiner den Stahlhelm auf und berichtet von vor Ort. Noch nicht mal aus einem relativ sicheren Hotel in der Hauptstadt Bamako.

Warum ist das so? Kein öffentliches Interesse vorhanden? Oder ist das auch wieder regierungsgefällige Berichterstattung? Ich denke schon, dass du auf jeden Fall Recht hast: Wenn die Presse nur der Leserschaft Rechnung zu tragen hat, dürfte auch die Berichterstattung etwas ausgewogener aus fallen. Zumindest würde man dann drüber lachen, wenn mal wieder ein CIA-Mitarbeiter oder jemand vom US Außenministerium einen Leitartikel einreicht, der dann unter dem Namen eines eigenen Redakteurs veröffentlicht wird. Oder wenn (wie neulich in einem aktuellen Beispiel von Fefe berichtet) Mitglieder von Unterorganisationen der Atlantik-Brücke als "freie Mitarbeiter" ihre Propaganda verbreiten dürfen.
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Beitrag von Toska » 19.02.2017, 22:19

Toska hat geschrieben:In Frankreich scheint es überall zu brennen und die Auslandspresse schreibt schon von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen und Auschreitungen". Findet man in D-Land vermutlich weniger berichtenswert.
Ah, Korrektur: Die Tagesschau hat am 16.2.2017 mal für 100 Sekunden darüber berichtet und in Zeit und Focus schrieb man auch mal darüber. Des Innenministers feuchte Träume sind wohl in Frankreich auch wahr geworden: Angeblich bis zu 125.000 Soldaten sind oder waren teilweise für den Einsatz im Inneren unterwegs oder in kurzfristig angesetzter Bereitschaft als Eskalationsreserve.
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Beitrag von Toska » 24.02.2017, 19:06

Toska hat geschrieben:Dass jemand endlich auspackt, dass das KSK in Afghanistan für das US Special Forces Command "targeted killings" (wetjobs) ausführte? Ich rechne nicht mehr mit einer Berichterstattung darüber.
Ich bin durch Zufall gerade eben auf den einzigen Artikel im Focus gestoßen, wo mal ein KSK-Mann anonym auspackt und sich dabei des Geheimnisverrats schuldig macht. Selbst dabei bleibt er noch mit seinen Aussagen hinter dem zurück, was an sich in "gut informierten Kreisen" und unter der Hand an Infos zirkuliert.

Focus Artikel 'Deutscher KSK-Kämpfer rechnet ab: "Die verheizen uns!"' vom 21.02.2015:
Link: http://www.focus.de/politik/ausland/afg ... 73332.html

Titel der 2. Seite des Artikels: 'KSK-Mann "Tom": "Die Afghanistan-Mission ist schwachsinnig"'
Link: http://www.focus.de/politik/ausland/afg ... 89943.html

Dass insbesondere die KSK besonderer Geheimhaltung unterliegt und aus operativen Gründen und zum Eigenschutz wenig über ihre Einsätze und Einsatzverfahren an die Öffentlichkeit dringen soll? Geschenkt. So viel Schutz muss man den Beteiligten auch einräumen. Problematisch wird es dann, wenn diese keine Möglichkeit haben, ihrer berechtigte Kritik auch an längst gelaufenen Einsätzen zu äußern. Zum einen, weil die Kritik in Wolkenkuckucksheim (Hardthöhe) nicht ernst genommen wird oder an politischen Zwängen bestehend aus Anspruch und Wirklichkeit verpufft. Und für den Gang an die Öffentlichkeit der Maulkorb verpasst wurde, der auch nach Ende der Dienstzeit noch gilt.

Versucht man, über Google mal zu schauen, wann KSK Leute an die Presse gingen, so findet man in 2005, 2010 und 2015 jeweils einen Artikel. Was in FAZ, Zeit und halt den Artikel im Focus. Der Rest bezieht sich auf diese drei Artikel als Quelle oder hat nur Informationen aus zweiter oder dritter Hand. Dafür dass die KSK seit sechzehn Jahre in ständigem Kriegseinsatz ist, haben die sich einerseits stark zurück gehalten und andererseits hat die Presse wohl auch nicht den Mumm, den angesprochenen Mißständen auf den Grund zu gehen.

Das betrifft aber nicht nur die KSK. Überlegt mal kurz, wie viele "O-Töne von der Front" ihr seit Dezember 2001 mal irgendwo in der Presse gelesen habt. Das 3. Reich hat 5 Jahre, 8 Monate und 7 Tage Krieg geführt. Die BRD mittlerweile 16 Jahre, 6 Monate und 6 Tage (Kosovo-Krieg + Afghanistan, Syrien-Beteiligung - Mali klammer ich noch aus). Man nimmt zwar an den Kriegen teil, aber das soll sich nicht im Bewusstsein der Bevölkerung verankern. Deswegen ist Berichterstattung von vor Ort und sind "O-Töne" der Beteiligten nicht erwünscht. Selbst wenn die Presse mal mit einem Minister irgendwo "im Felde" einfällt, dürften diese bestenfalls mit der PR-Abteilung reden oder die Soldaten fragen, wie das Essen schmeckt. Die willfährige Presse hält sich natürlich dran, außer sie machen mal ungewollt doch einen "Scoop", wie wenn sich ihnen ein KSK-Mann "aufdrängt", der auspacken will.

Selbst wenn dann so ein Interview auftaucht, verpufft es. Weil die kritischen Fragen, die sich dann aufdrängen von keinem massentauglichen Medium wirklich aufgegriffen und weiter beackert werden. Das lässt interessante Rückschlüsse auf den Zustand der Presselandschaft zu und auch wie lange diese schon der aktiven Zensur unterliegt, oder sich diese selbst aus politischen Zwängen auferlegt hat.
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Beitrag von Herr Rossi » 24.02.2017, 20:44

So Toska... mal sehen wie lange es gut geht. Es ist mir mittlerweile aber ehrlich gesagt auch egal, wenn du dich dann irgend wann mal wieder ungerecht behandelt fühlst und wieder verschwindest. Das musst du wissen, wie du das handhabst.

Zum Thema: Das fing nicht erst mit 9/11 an oder hast du groß Kritisches zum Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Kosovo-Krieges gesehen oder gelesen?
Es ist fast ein Wunder, dass es mal eine kurze Phase in der Weltgeschichte gab, wo von den Kriegen tatsächlich mal all das Leid, was diese auslösen auch berichtet wurde. Dabei waren die Amerikaner eigentlich schon weiter, denn der 2. Weltkrieg war in der Darstellung eine recht saubere Nummer auf Seiten der USA und dann passierte komischerweise Vietnam. Ist mir echt ein Rätsel wie es dazu kam, denn dass sie die Presse unter Kontrolle halten konnten, hatten sie ja schon vorher bewiesen.

Immerhin hat man aber daraus gelernt und sowas danach konsequent vermieden und die Propaganda ordentlich perfektioniert. Seitdem erleben wir halt nur noch saubere Kriege auf Seiten des Westens und warum sollte Deutschland nicht von den USA gelernt haben? Immerhin sind sie ja sonst auch so ziemlich in allem Vorbild. Aber die Presse spielt da natürlich auch sehr willfährig mit wie man stellvertretend immer wieder auf der Bundespressekonferenz sehen kann, wenn der Kritischste der Anwesenden ein Tilo Jung ist...

Ansonsten noch zum Interview: Bei all der berechtigten Kritik von "Tom", scheint mir da aber schon eine recht selektive Wahrnehmung bei ihm vorzuherrschen. Was soll z.B. der Blödsinn mit rot-grün als Verursacher? Hat er Merkel vergessen? Die hätte ihn oben drauf noch in den kuscheligen Krieg im Irak geschickt und spätestens seit sie Kanzlerin ist, ist sie auch faktisch für jeden weiteren Tag, den er im Einsatz verbringen muss, verantwortlich. Oder wäre der Irakkrieg für ihn sinnvoller gewesen?

Und echt, Ströbele als Feindbild? Das hat schon was von Satire. Der kann sich ein paar Dutzend Leute bei den Grünen raussuchen, die tatsächlich dafür verantwortlich sind, ihn in den Krieg geschickt zu haben, aber genau den einen Grünen, der das ganz sicher nicht getan ist, nimmt er sich dann als Feindbild??? An der Stelle kommt dann doch etwas Zweifel über die Echtheit von "Tom" auf... denn es ist nun nirgends ein Geheimnis, dass Ströbele bis zum heutigen Tag keinen Deut von seiner pazifizistischen Grundhaltung abgewichen ist. Oder ist das das alte Lied von den Pazifisten, die die eigentlichen Verantwortlichen für die Kriege mit ihrer Rumkuschelei sind?

EDIT: Oha, ich muss mich korrigieren. Ströbele hat tatsächlich für den Afghanistan Einsatz gestimmt. Trotzdem sehr merkwürdig, dass er sich genau ihn als Feindbild raussucht.

EDIT2: Jetzt raffe ich gar nix mehr. Wikipedia sagt, er hat dafür gestimmt, aber bei Ströbele finde ich dazu das Gegenteil: http://www.stroebele-online.de/themen/u ... 84318.html

EDIT3: OK, ist ein ja und nein... Thema ist wohl doch etwas komplexer. ENDURING FREEDOM nein, ISAF ja, aber da auch nur zweimal, danach nein, was konkret seine Zustimmung bis 2002/3 bedeutet.
Ströbele selbst dazu: https://www.youtube.com/watch?v=-tNlSNalCf0

EDIT4 und letzter:
Wen es interessiert,
Operation Enduring Freedom: https://de.wikipedia.org/wiki/Operation ... ng_Freedom
ISAF: https://de.wikipedia.org/wiki/Internati ... ance_Force
Und verdammte scheisse... Wikipedia darf man echt nicht trauen. Der Eintrag zu Ströbele ist wohlwollend sehr vereinfachend, in der Aussage aber imo faktisch falsch.
Und "Tom" ist tatsächlich speziell im Rahmen von Enduring Freedom eingsetzt worden, jedenfalls auf die Fälle bezogen, die er selbst erwähnt: https://de.wikipedia.org/wiki/Kommando_ ... ng_Freedom
In sofern passt mein ursprünglicher Einwand eigentlich immer noch.

Und der zweite Teil des Interviews zeigt doch recht deutlich wie sehr er in der Logik des Krieges gefangen ist, ABER sowas passiert halt, wenn man Menschen in sowas reinschickt. Aber man muss wohl naiver Gutmensch sein, um sowas einfach nicht zu tun und wie wir ja alle wissen wird die Welt alsbald untergehen, wenn diese blöden Gutmenschen was zu sagen hätten, also machen wir besser weiter Krieg, denn dadurch wird bewiesenermaßen alles gut! ;P

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Beitrag von Toska » 25.02.2017, 00:56

Herr Rossi hat geschrieben:Zum Thema: Das fing nicht erst mit 9/11 an oder hast du groß Kritisches zum Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Kosovo-Krieges gesehen oder gelesen?
Natürlich, aber nur abseits der Mainstream-Medien. Was aktuelle Konflikte angeht, ist selbst diese Quelle eingetrocknet und du kannst dir einen Wolf suchen, ohne fündig zu werden.

Du gehst recht dediziert auf das, was der KSK-Mann im Interview gesagt hast ein, inklusive Kritik an Ströbele. Die konnte ich zuerst auch nicht so recht nachvollziehen und will mich an sich auch nicht damit auseinander setzten. Mir ging es darum:

In 16 Jahren Einsätze der KSK (und die sind wirklich die "Speerspitze" und bohren keine Brunnen oder dünne Bretter) haben die deutschen Medien nur dreimal vermauschelt und anonym Stimmen von KSK-Soldaten eingefangen und diesen Gehör verschafft. Im Schnitt alle fünf Jahre einmal. Also nächstes mal ist 2020 damit zu rechnen?

Nicht nur KSK: Auch der Rest der Soldaten, die entweder an ISAF oder "Enduring Freedom" teilnahmen dürfen bestenfalls ins Mikro sagen, wie sehr sie sich freuen, dass endlich mal wieder ein Minister vor Ort zu Besuch ist, oder wie das Essen schmeckt.

Ja, unsere Regierung hat da sicherlich auch von den Amis gelernt (eher von Göbbels - aber lassen wir das). Weder auf die extremen Auswüchse "Embedded-Journalism" und "Propaganda-Kompanien" hat man sich nicht eingelassen und deckt lieber den Mantel des Schweigens über *alles*, was nicht so laut knallte, dass man es sowieso mitbekam.

Mein Kritikpunkt? Lass mich nur ein Klitzekleinwenig ausholen und ich mache es auch extra kurz: Einer meiner besten Kumpels (wir haben die gleiche Ex) war von 2002-2014 mehr als ein Dutzend mal mit Y-Reisen in AF und diente sowohl für "Enduring Freedom" als auch ISAF - vor und hinter dem Zaun. Er ist - wie jeder aktive oder ehemalige - recht zurückhaltend Außenseitern gegenüber mal das Nähkästchen aufzumachen. Mittlerweile läuft der Käse ja auch lange genug, dass sicherlich jeder von uns irgendwo im erweiterten Bekanntenkreis jemanden in dieser Art hat.

Mein Kritikpunkt: In 'ner Stunde Plausch über einem Schächtelchen Bier erfährst du dennoch von Soldaten mehr über AF, als die komplette Presse in 16 Jahren zu berichtet hatte.

Ich kenne durchaus auch die Art, wie Engländer, Kanadier oder Amis in ihrer Presse über ihre Auslandseinsätze berichten und keiner deckt dabei so effektiv den rauchenden Haufen Murks so zu, wie bei uns. Um nochmal auf ISAF vs. Enduring Freedom zurück zu kommen: Solange ISAF noch in großen Stile lief, kamen die einzigen wenigen Bilder und Momentaufnahmen in Deutschland nur über die Schiene ISAF an. Brunnen bohren und Schulen bauen? Kann man doch prima zeigen. Dass wir im Rahmen von EF jedoch fast vom ersten Tag an richtig fett mit beim Austeilen dabei waren und das EF-Kontingent nicht nur KSK umfasste? "Oooh, ein neuer Brunnen! Guck mal da! Wie schöööön!" Selbst das hörte sofort auf, als auch ISAF immer öfter zur Knarre statt zum Spaten greifen musste.

Man kann durchaus unterstellen, dass auch viele Bundestags-Abgeordnete manchmal nicht so genau wussten, welches Kontingent sie gerade durch ihre Stimmabgabe aufstockten.
Herr Rossi hat geschrieben:Und der zweite Teil des Interviews zeigt doch recht deutlich wie sehr er in der Logik des Krieges gefangen ist, ABER sowas passiert halt, wenn man Menschen in sowas reinschickt.
Ja, genau so hab ich den zweiten Teil des Interviews auch eingeschätzt. Man kann es sicherlich nachvollziehen: Wer so lange dort für die fragwürdige Politik den Hintern hingehalten hat (auch wenn er weiß, dass es nicht zum gewünschten Ziel führen wird), der will sich sicherlich auch nicht so recht eingestehen, dass sein Engagement und seine persönlichen Strapazen so komplett sinnlos waren.

Wir erleben ja auch zunehmende Dummheit der Politik bei Auslandseinsätzen:

Kosovo: Da war noch klar, was das Endziel war. Egal was man davon damals oder heute halten will.

Afghanistan: Wir sind ohne Plan B hin, hatten nur eine diffuse Idee keine Idee, wie das mal enden sollte und wissen nur, dass es langsam mal gut ist. Was passieren wird, wenn wir endlich weg sind? Man kann es sich denken, aber das ist dann ja auch egal weil es weit genug weg ist.

Syrien: Wir haben keine Idee, was wir da machen. Wir wissen nicht, wie lange wir bleiben und wir wissen, dass wir uns mit "komischen Freunden" umgeben, unter denen auch Schweinehunde sind. Wir wissen, dass das, was wir da machen von Drohnen besser gemacht werden kann. Wir wissen, dass wir bei einem Abschuss/Absturz der betroffenen Besatzung nicht helfen können und dann sowohl bei NATO als auch Russland und Syrien um Hilfe betteln müssen. Aber wir zeigen halt mal Flagge und knipsen Fotos und tun so, als wären wir wichtig. Gleichzeitig geben wir Erdogan nochmals beste Gelegenheit, uns ständig auf der Nase rumzutanzen und uns lächerlich zu machen.

Mali: Eigentlich wollten wir ja nicht. Bestenfalls halt nur Fracht fliegen und 'n bissel Logistik machen. Wir haben auch keinerlei strategisches Interesse an oder in Mali. Wir haben auch weder die Ausrüstung noch die Fähigkeiten, die in Mali gebraucht würden. Wir haben keine Idee über die politische Lage dort und beteiligen uns auch nicht an irgend einer langfristigen Umgestaltung der Gesellschaft dort oder fördern irgendwelche politischen Entwicklungen. Wir sind nur da, um den Franzosen einen Gefallen zu tun und bleiben so lange, bis man uns rauskomplimentiert oder ein Wunder geschieht. Wenn es richtig dumm läuft, dürfen unsere Jungs noch den Hintern hinhalten, um den Rückzug der "Grande Armée" zu decken. Falls die nicht eines Morgens aufwachen und die Franzosen schon längst weg sind.

Baltikum: "Hi guys! Did you miss us? We're baaaaaack!" Wir haben zwar diesmal keine Pferde dabei, aber dafür haben wir auch kaum Panzer oder sonstigen Spielzeug. Wir sind nicht nur ohne "Plan B" dort, sondern ohne jeglichen Plan oder Idee, wie das mal enden soll und was das gewünschte Ziel ist. Aber in dem Wissen, dass wir es sowieso nicht erreichen können sofern die Russen nicht gnädigerweise so tun, als würden sie uns gewinnen lassen.

Frage in die Runde: Wie viele Presse-Berichte habt ihr über den Einsatz in Mali gesehen? Nicht nur über die Abstimmungen im Bundestag darüber. Nicht nur über das, was die BW dort macht, sondern auch über das Land und seine Leute? Null? Dürfte sicherlich hinkommen. Nun zur eigentlichen Frage: Wie kann das sein? Erfüllt die Presse damit ihren Auftrag? Der Politik gegenüber sicherlich schon, aber nicht ihrem eigentlichen Daseinszweck nach.

Früher machten wir Landesverteidigung. Heute haben wir eine Söldnertruppe, die aus politischem Kalkül dahin geschoben wird, wo man bei "Verbündeten" am meisten Punkte machen kann. Und das wird auch nicht irgendwann noch mal besser. Da unsere Gesellschaft noch nicht so weit ist, diesen zügellosen Interventionsmus mit zu tragen (zum Glück!), wird er halt so gut es geht verschwiegen. Propaganda-Presse ist nicht ausschließlich laut und peinlich. Manchmal kann sie auch super schweigen, um die gewünschten Ergebnisse zu fördern.
Grüße,

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Beitrag von Herr Rossi » 25.02.2017, 06:44

Ich denke, da sind wir durchaus gleicher Meinung, Toska. Selbst als jemand, der an sich ein "Ohr" für die Themen hat, war ich z.B. bei der Recherche zu Ströbele echt verwundert darüber wo überall die Bundeswehr im Einsatz ist. Ost-Timor, echt?? Ok, da sind es nur Beobachter, aber du hast absolut recht, dass die Themen von unserer Presse massiv ausgelassen werden.

Und nicht nur, dass nur vernachlässigbar davon berichtet wird, die Folgen der Einsätze sowohl für die Menschen vor Ort als auch für die Soldaten der Bundeswehr, finden praktisch gar nicht statt. Der Krieg wird als glattgebügeltes Abziehbild eines Ideals präsentiert, wo es nur um Brunnenbohren und polizeiähnliche Einsätze geht. Und wie du schon sagst, man berichtet da lieber über ISAF, denn da kann man echt noch eine gewisse Rechtfertigung drin sehen, als auch nur ein einziges Mal zu zeigen was für eine Scheisse im Rahmen von Enduring Freedom passiert, denn das ist praktisch der ganz klassiche Krieg, wo es einfach nur um Feindvernichtung geht.

Und dass dem so ist, zeigt doch eigentlich nur, wie klar der Politik ist, was für ein dreckiges Spiel das ist, denn nur durch diese Verschleierung kriegen sie tatsächlich die benötigte Zustimmung vom Volk. Wenn das Volk so eine Art Berichterstqttung wie im Vietnam Krieg bekommen würde, dann wäre das ganze scheiss Spiel wohl recht schnell zu Ende. So wie es läuft dürfte es aber für 90% der Menschen noch nicht einmal relevant bei der Wahl sein, denn es läuft komplett unterhalb der Wahrnehmung.

Und was die Soldaten betrifft wie "Tom", die den Dreck vor Ort auslöffeln dürfen: Mein Mitleid hält sich da tatsächlich in Grenzen. Was haben die denn gedacht? Welches Ideal von Politik träumten die, wo sie eben nicht verzeizt werden? Also ich muss nicht erst in einen Krieg geschickt werden, um zu wissen, dass ich als Mensch, als Soldat, der Politik einen Scheissdreck wert bin und die mich ohne weiteres für ein wenig Machtpolitik verheizen. Das war noch nie anders.

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Beitrag von Toska » 25.02.2017, 08:15

Herr Rossi hat geschrieben:z.B. bei der Recherche zu Ströbele echt verwundert darüber wo überall die Bundeswehr im Einsatz ist. Ost-Timor, echt?? Ok, da sind es nur Beobachter, aber du hast absolut recht, dass die Themen von unserer Presse massiv ausgelassen werden.
Ja, leider wahr. Oder wusstest du, dass wir vor Jahren mal für länger Soldaten in Weißrussland hatten? Ich hab das damals auch nur mitbekommen, weil mein Kumpel dort war und sich wegen Umgang mit einer Einheimischen Ärger mit dem MAD eingefangen hat.

Hier mal auf der BW-Homepage die Liste der derzeit laufenden Auslandseinsätze: https://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde ... einsaetze/

Das sind (wenn ich mich nicht verzählt habe) 19 Auslandseinsätze. Wir hatten auch schon mal 26 gleichzeitig. So Faxen wie Baltikum sind da noch nicht mal gelistet, sondern nur "Out of Area"-Einsätze.
Herr Rossi hat geschrieben:Und wie du schon sagst, man berichtet da lieber über ISAF, denn da kann man echt noch eine gewisse Rechtfertigung drin sehen, als auch nur ein einziges Mal zu zeigen was für eine Scheisse im Rahmen von Enduring Freedom passiert, denn das ist praktisch der ganz klassiche Krieg, wo es einfach nur um Feindvernichtung geht.
Leider wahr. Mit allen Zoten, die dann so im Krieg passieren. Vor allem dann, wenn man eine Armee schickt, die erst mal wieder lernen muss, dass im Feld die Schreibmaschine, Kohlepapier und Formulare nicht die oberste Priorität sein sollten. Der Spagat, gleichzeitig ISAF und EF zu machen war auch nicht so ganz durchdacht. Dem deutschen ISAF-Kontingent hat man z.B. lange Zeit verboten, bei Patrouillen oder Geleitschutz MGs auf die so gut wie nicht gepanzerten Begleitfahrzeuge zu montieren. "Das wirkt zu martialisch!" Für die zu EF abgestellten Truppen galt das natürlich nicht. Und so manche dieser "wasch mich, aber mach mich nicht nass"-Verordnungen waren dann auch bei mehreren Gelegenheiten für vermeidbare eigene Verluste verantwortlich.
Herr Rossi hat geschrieben:Und dass dem so ist, zeigt doch eigentlich nur, wie klar der Politik ist, was für ein dreckiges Spiel das ist, denn nur durch diese Verschleierung kriegen sie tatsächlich die benötigte Zustimmung vom Volk. Wenn das Volk so eine Art Berichterstqttung wie im Vietnam Krieg bekommen würde, dann wäre das ganze scheiss Spiel wohl recht schnell zu Ende. So wie es läuft dürfte es aber für 90% der Menschen noch nicht einmal relevant bei der Wahl sein, denn es läuft komplett unterhalb der Wahrnehmung.
Genau das prangere ich ja auch immer wieder mal an, weil ich den Mangel an Berichterstattung über das Thema als ganz eindeutig als Geschenk der Presse an eine durch und durch verkommene Regierung sehe. Nicht nur die aktuelle, auch die davor. Und das machen die halt nicht erst seit neuestem, sondern seit +16 Jahren.
Herr Rossi hat geschrieben:Und was die Soldaten betrifft wie "Tom", die den Dreck vor Ort auslöffeln dürfen: Mein Mitleid hält sich da tatsächlich in Grenzen.
Stimme dir da im kompletten Absatz voll zu. Wer da mit irgendwelchen Idealen oder Flausen im Kopf hingeht, der wird halt sicherlich seine Überraschung erleben und die ausgetrieben bekommen. Zwischen der Außendarstellung der BW und der Realität hat es ja schon zu reinen Landesverteidigungszeiten enorme Unterschiede gegeben und die sind nicht kleiner geworden. Und die Bereitschaft der Politik auch eiskalt Verluste in Kauf zu nehmen, nur um politisch oder moralisch irgendwo zu punkten kann einen nur gruseln lassen.
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Beitrag von Herr Rossi » 25.02.2017, 08:36

Toska hat geschrieben:
Ja, leider wahr. Oder wusstest du, dass wir vor Jahren mal für länger Soldaten in Weißrussland hatten? Ich hab das damals auch nur mitbekommen, weil mein Kumpel dort war und sich wegen Umgang mit einer Einheimischen Ärger mit dem MAD eingefangen hat.

Hier mal auf der BW-Homepage die Liste der derzeit laufenden Auslandseinsätze: https://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde ... einsaetze/

Das sind (wenn ich mich nicht verzählt habe) 19 Auslandseinsätze. Wir hatten auch schon mal 26 gleichzeitig. So Faxen wie Baltikum sind da noch nicht mal gelistet, sondern nur "Out of Area"-Einsätze.
Weissrussland, nein, das wusste ich ganz sicher nicht. Wobei ich sagen muss, dass ich durchaus nicht alle Einsätze gleichgestellt sehe. Obwohl ich echt massiv kritisch gegenüber jeglichem Auslandseinsatz der Bundeswehr bin, so sehe ich das z.B. im Rahmen von UN Einsätzen etwas anders. Selbst ISAF, wo es ein recht "aggressives" Mandat gibt, ist trotz allem noch sehr zurückhaltend und dem klassischen Blauhelm Einsatz, der die Zustimmung aller Konfliktparteien bedarf und nur die eigene Verteidigung erlaubt, sehr nahe. Sowas kann funktionieren, weil dadurch die Bundeswehr Teil eines neutrales Akteurs ist, der primär die Aufgabe erfüllt zu beobachten und zwischen den Parteien zu vermitteln.

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