Atomforschung in Deutschland

Nachrichten und Diskussionen aus dem prallen Leben.

Moderator: Moderatoren

Antworten
Benutzeravatar
Toska
Geschäftsmodell
Beiträge: 2175
Registriert: 17.07.2007, 17:22
Wohnort: Armenia / Kolumbien

Atomforschung in Deutschland

Beitrag von Toska » 11.02.2017, 10:02

Hier mal schrägen Lesestoff zum Thema der möglicherweise militärische Nuklearforschung im Nachkriegsdeutschland mit der Zielsetzung am Ende ggf. Kernwaffen zu haben:

Das Fernsehmagazin Panorama brachte wohl am 2. Februar einen Beitrag, in dem man wegen Trumps Anti-NATO Haltung jetzt propagiert: "Dann brauchen wir halt eigene Atomwaffen." Ich hab die Sendung nicht gesehen, aber Compact hat in der Online-Ausgabe einen Artikel darüber. Um den Artikel in Compact geht es mir weniger, sondern nur die verklausulierten Hinweise am Ende auf das GKSS Geesthacht. Link: https://www.compact-online.de/nuklearer-zufallstreffer/

Das mit Gesstacht hat mich mal nachdenklich gemacht und ich hab mal meine Erinnerung an den (angeblichen) Atom-Unfall von 1986 im GKSS Geesthacht aufgefrischt und etwas gegraben. Da kommen dann so ein paar recht interessante Details zum Vorschein, die ich euch nicht vorenthalten will.

Das Kernforschungszentrum bei Geesthacht ("Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt GmbH") ist bereits seit seiner Gründung in die Entwicklung von Militär-Technologie verwickelt. Gegründet wurde die GKSS 1956 von den Kernphysikern Erich Bagge und Kurt Diebner. Wer sich mit der Geschichte der Entwicklung einer deutschen Atombombe in der Nazi-Zeit befasst hat, kennt diese Namen möglicherweise. Sie stehen neben Otto Hahn, Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker und Werner Heisenberg auf der Liste der zehn deutschen Kernphysiker, die von den Alliierten vom 3. Juli 1945 bis zum 3. Januar 1946 im englischen Farm Hall interniert wurden.

Kurt Diebner war von Beginn an Leiter der NS-"Uranprojekts" und Gründer einer Forschungseinrichtung in Gottow auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Im Herbst 1944 begann Diebner in Gottow mit einem neuen Reaktorversuch, in dessen Verlauf es zu einem Unfall kam. Die Umstände sind bis heute nicht eindeutig geklärt, aber es müssen bei diesem Unfall mehrere Mitarbeiter verstrahlt worden sein.

Nachgewiesen sind Versuche Diebners zwischen 1943 und 1944 mittels Implosion thermonukleare Reaktionen einzuleiten. Ein "Verfahren zur Verwertung der Fusionsenergie von Deuterium und Tritium mit Hilfe konvergenter, periodischer Verdichtungsstöße" hat Diebner nach dem Zweiten Weltkrieg zum Patent angemeldet (Patent 1414759). Diese später als ICF-Verfahren (Inertial Confinement Fusion oder Trägheitseinschlussfusion) bekannte Methode hat Jahrzehnte später bei der US-amerikanischen Entwicklung von Mini-Atombomben - den sogenannten Mini-Nukes - zum Durchbruch geführt. Forschungsschwerpunkte auf dem ICF-Gebiet existierten in den 80er Jahren nicht nur im GKSS, sondern auch im Kernforschungszentrum Karlsruhe, der GSI in Darmstadt und am IPP Garching.

1989 erschien eine Publikation mit dem Titel ‘Atomforschung in Geesthacht - Schleichwege zur Atombombe?’ Eine fünfköpfige Redaktionsgruppe zweifelhafter Herkunft deckte auf, dass die GKSS mit anderen Kernfoschungszentren zusammen eine Infrastruktur aufgebaut hatte, die Plutoniumwirtschaft im Labormaßstab ermöglichte. Der frühere SPD Forschungsminister Volker Hauff wird mit der Äußerung zitiert, es handele sich dabei um eine ausreichende Infrastruktur zum Bau einer Atombombe. Die Geesthacher Forscher beschäftigten sich demnach bereits seit den 50er Jahren mit Atombomben-Technologie. Wie seriös die darin angereicherten Fakten, Erkenntnisse und Spekulationen sind, kann ich noch nicht genau bewerten. Es ist definitiv ein Meinungsprodukt, welches versucht, seine Meinung mit Fakten zu unterlegen und unterschlägt dann gerne mal die exakte Quelle. Das 44-Seiten Pamphlet gibt es bei Amazon und auch als PDF am Ende dieses Postings.

Die wissenschaftlichen Einrichtungen und Erkenntnisse der GKSS wurden von der deutschen Industrie genutzt. Darunter befanden sich prominente Rüstungs-Konzerne wie MTU München, Rheinmetall, Rohde & Schwarz, HDW Kiel und andere. Mehrfach arbeitete die GKSS auch direkt mit militärischen Einrichtungen zusammen, so mit den Bundeswehruniversitäten in Hamburg und München. In den 80er Jahren führte die Wehrwissenschaftliche Dienststelle der Bundeswehr für ABC-Schutz Bestrahlungsversuche in den Forschungsreaktoren der GKSS durch.

Das alles kann man noch irgendwie als "zivile Atomforschung" mit ggf. tertiärem militärischem Applikationsfeld als Abfallprodukt sehen. Also vollkommen legitim und weit weg von der Bombe. Denn ... wir forschen doch natürlich nicht an Bomben! Geht ja gar nicht! :roll:

Doch schauen wir uns mal ein paar Seltsamkeiten an, die zumindest beim Lesen ab und an doch mal ein paar kleine Zweifel aufkommen ließen:

Deutschland hat (noch unter Adenauer) den Atomwaffensperrvertrag und das Non-Proliferations-Abkommen unterzeichnet. Adenauer war deswegen fuchsig und nannte das angeblich ein „zweites Jalta“ und einen „Morgenthau-Plan im Quadrat“. Mag sein, oder auch nicht. Fakt ist jedoch, dass nach diesen Abkommen halt auch gewisse Typen von Atomforschung nicht gestattet sind wenn z.B. mit hochangereicherten Spaltstoffen gearbeitet wird. Denn für die gibt es nur militärische Anwendungsfälle.

Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO hatte - noch unter ihrem damaligen Vorsitzenden Hans Blix - von der deutschen Bundesregierung gefordert, auf den Einsatz hochangereicherten Urans im Forschungsreaktor Garching 2 zu verzichten. Dieser Forderung schloss sich der spätere Vorsitzende der IAEO, Mohammed al-Baradei an. Doch selbst der Protest der USA an die deutsche Bundesregierung, in dem von einem Bruch des Non-Proliferations-Abkommens die Rede ist, blieb wirkungslos.

Der nächste Punkt: Im GKSS gab es wohl ein halbes Jahr nach Tschernobyl auch einen Unfall bzw. einen Brand. Von 1989 bis 1996 erkrankten in der Gegend elf Kinder an Leukämie, obwohl statistisch höchstens ein Fall zu erwarten gewesen wäre. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/16644202

Eine Bürgerinitiative verdächtigte zuerst das 30km entfernte AKW Krümmel, aber sowohl das als auch das GKSS wiesen jeden Verdacht von sich. Es ging dann ziemlich hin und her und auch das ZDF hatte sich mal investigativ eingeklinkt. Der Ingenieur und ehemalige Strahlenschutzbeauftragte des Bundestages Heinz-Werner Gabriel fand in Bodenproben beidseits der Elbe um das Atomkraftwerk Krümmel und die GKSS Brennstoff-Kügelchen bis zu Sandkorngröße, die die Kernspaltungsprodukte Curium, Plutonium und Americium enthielten. Die Kugeln wiesen einen "klaren Fingerabdruck" auf, schreibt Gabriel; diese Partikel seien "aus der Herstellung von Pac-Kernbrennstoff bekannt". Der Pac-Brennstoff hatte diese sandkorngroßen Kügelchen aus gekapseltem Spaltmaterial, von denen dann Tausende in eine größere Kugel gegossen wurden. Diesen Brennstoff setzt man in Deutschland nirgendwo mehr ein und der war nur für den "Schnellen Brüter" Hamm-Uentrop gedacht, der ja nach nur zwei Jahren Betrieb "geplatzt" ist.

Warum man Partikel davon in Norddeutschland finden sollte? Komplett unsinnig. Doch Gabriel war sich sicher: Die Pac-Technologie könne auch zur Herstellung nuklearer Zünder für Miniatur-Atombomben genutzt worden sein. Deren Einsatz für den Hafenbau erwogen Geesthachter Forscher 1979 im Fachjournal "Fusion". Der GKSS-Sprecher Hans-Friedrich Christiansen sagte jedoch: "Wir haben Forschungen zur Reaktorsicherheit gemacht. Aber wir haben nie mit Pac oder Mikrokugeln gearbeitet." – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/16644202

Das ZDF ist dann auch mal mit Proben der Kügelchen in das Frankfurter Strahlenschutz-Institut und wollten die mal schauen lassen. Doch daraus wurde dann eine Posse: Als man die Präsentation der Ergebnisse im Institut filmen wollte, sah das ZDF im Mikroskop tausende Kügelchen und die Wissenschaftler sagten: "Wir sehen da nichts." Der Institutsleiter hatte Druck von der Reaktoraufsicht in Schleswig-Holstein bekommen und teilte mit: Wenn sie an einer Untersuchung dieser Kügelchen interessiert sei, sollte sie sich doch bitte an das BKA beziehungsweise die Polizei wenden. :roll:
Die ZDF-Redakteurinnen wollten sich mit diesem manipulierten Ergebnis nicht abfinden. Sie konnten schließlich die Internationale Sacharov-Umwelt-Universität in Minsk gewinnen, die Bodenproben aus der Elbmarsch zu untersuchen. Das Gutachten präsentierte Professor Vladislav Mironov am 12. April auf einer Anhörung im niedersächsischen Landtag. Zahlreiche Wissenschaftler waren eingeladen, um die Ursachen für die massiven Leukämie-Erkrankungen zu klären. Mironov legte die Untersuchungsmethoden offen, mit denen er hochangereichertes Uran, Plutonium und Thorium nachgewiesen hatte und bestätigte an dieser Stelle, dass diese radioaktive Kontaminierung weder mit dem Fall-Out von Tschernobyl noch mit dem Normalbetrieb eines Atomkraftwerks erklärt werden kann.

Von höchster politischer Brisanz waren seine Ergänzungen, als er von dem Lüneburger Amtsarzt Hajo Dieckmann nach dem Verursacher gefragt wurde: "Ich verstehe Sie richtig, diese Konstellation von Isotopen, die Sie gefunden haben, kann nicht aus einem kommerziellen Reaktor stammen?" Mironov: "Richtig." - "Es kann also nur aus einem Forschungsreaktor stammen?" Woraufhin Mironov antwortete: "Nicht aus einem Leistungsreaktor mit Uran-Kernbrennstoff. Die in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Westeuropa setzen Uran-Kernbrennstoff mit der Anreicherung bis vier Prozent ein. Hier haben wir es mit hohen Konzentrationen von Uran 235 zu tun. Das kann nur aus einem Brüter stammen, wo die Produktion dieses Isotops ein Ziel ist."

Keiner der zahlreich anwesenden Wissenschaftler bestritt diese Schlussfolgerung, genauso wenig wie die Feststellung, dass "nur durch einen Störfall mit Freisetzung ... die Präsenz solcher Nuklide in der Natur möglich" ist. Nur eine einzige atomare Anlage in einem Radius von 50 Kilometern um Geesthacht kommt für dieses "Störerprofil" in Frage. Die GKSS.

Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-frei ... -kugelchen
Auch spannend: Nach dem Unfall von 1986 im GKSS (der ja angeblich nicht stattgefunden hat) fanden diverse Atomtransporte aus dem GKSS statt. Einer ging direkt in die militärische Wiederaufarbeitungsanlage im französischen Marcule. Und nicht nach La Hague, wo zivile Brennstäbe aufbereitet werden. Ein weiterer in dieser dokumentierterten Transport erweist sich aus heutiger Sicht als durchaus brisanter: Im Zeitraum zwischen dem 15.9.1986 - also drei Tage nach dem angeblichen Brand im GKSS - und dem 14.9.1987 wurden "bestrahlte Brennstabsegmente" ins Siemens Brennelementwerk Hanau, Betriebsteil Karlstein verfrachtet. Von "Segmenten" ist in Transport-Protokollen sonst nie die Rede, weil Kernbrennstäbe am Stück transportiert werden und nicht Fragmente davon. Brennstäbe sind versiegelt und unterliegen der Spaltstoffkontrolle der IAEO. Sollte ein Brennstab beschädigt worden sein, so hätte man das an das IAEO melden müssen und die hätten mit Sicherheit Experten zur Begutachtung geschickt, um den Verbleib allen Spaltmaterials aus dem Brennstab zu dokumentieren. Auch der Zielort Karlstein ist als "Endlager" zumindest kurios.

Und hier der letzte Punkt, der erklärt warum diese Mikro-Kugeln auch nach dem Ende vom "Schnellen Brüter" noch so interessant für die Forschung sind:

Der Berliner Physiker Sebastian Pflugbeil von der ‘Gesellschaft für Strahlenschutz’ stieß auf Stasi-Dokumente über bundesdeutsche Nuklearforschungen. In diesen Unterlagen der Abteilung 5 der Hauptabteilung XVIII von 1987 ist von "Mininukes" die Rede, an denen in der BRD gearbeitet würde und die man mit Hilfe eines Röntgen-Lasers zur Explosion bringen könne. Darin heißt es: "Interessanterweise sind in der letzten Zeit die Erfolg versprechendsten Fusionskonzepte in einer ganz anderen Richtung angelegt worden", die ergeben haben, dass bei "Fusions-Fissions-Kügelchen eine andere Anwendung wesentlich interessanter ist". Das werde "durch die Zielrichtung der US-amerikanischen Atompolitik unterstützt", bei der "das Streben der Kernwaffenforschung eindeutig zu kleineren und leichteren Kernladungen (…) geht". Weiter ist in diesem MfS-Dokument die Rede von Kügelchen mit Abmessungen im Millimeter- bis Zentimeter-Bereich, die gigantische Sprengstärken entwickeln.

Im Januar 1987 ereignete sich auch eine Explosion im NUKEM-Werk in Hanau. Als das von der Explosion zerstörte Gebäude in Hanau 2003 abgerissen und nach den entsprechenden Entsorgungsrichtlinien abgetragen wurde, war die Beteiligung der örtlichen Behörden unvermeidbar. NUKEM-Ingenieur Paul Börner äußerte während dieser Arbeiten gegenüber einem Beamten: "Jetzt, wo es verjährt ist, kann ich es ihnen ja sagen: Das ist das Gebäude, das uns damals hochgegangen ist." Protokolliert ist diese Aussage in den Akten der Hanauer Staatsanwaltschaft. Anfang 1987 war übrigens noch Joschka Fischer "Umwelt"-Minister in Hessen. In der Umgebung der Unfallstelle in Hanau fanden sich ebenfalls ominöse Brennstoffkügelchen. Im Unterschied zu jenen in der Umgebung von Geesthacht hatten sie jedoch keine auffällige Häufung von Leukämie-Fällen zur Folge.

Wo sich der Kreis schließt: Der Gründer der GKSS Diebner hatte einige bahnbrechende Patente eingereicht: Zum Schnellen Brüter sowie zur Plutoniumgewinnung und -separation. Zwei Patentanmeldungen erfolgten 1955 zusammen mit Dr. Friedwardt Winterberg zu thermonuklearen Bomben (Mini-Nuke, boosted weapon). Am 4. März 1957 erschien Diebners Name in der deutschen Presse mit der Ankündigung, er habe das "Geheimnis der Kernverschmelzung" enträtselt. Der ‘Spiegel’ brachte am 20. März 1957 einen größeren Artikel hierüber, doch die wissenschaftlichen Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Die Erforschung der Fusion blieb dennoch weiterhin Diebners Spezialgebiet und führte zu weiteren Patentanmeldungen.

Alles in allem? Ich denke, dass ist viel zu dürftig um mit Gewissheit zu sagen, dass Deutschland seit den 50'ern an der Bombe forscht. Man scheint sich aber nicht gescheut zu haben, ganz brenzlige Forschung in Nischenbereichen zu machen, die auch mal ziemlich laut und ungeplant "Spontan-Deassembliert" sind. Und man hat das dann schön vertuscht, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. :roll:

Ich fand es jedenfalls interessant. Was meint ihr? Traut ihr es der Bundespolitik zu, dass man hier jahrzehntelang möglicherweise extrem grenzwertig geforscht hat? Mit oder ohne Endziel Bombe?

Weiterführende Links zu Quellen:

http://www.berliner-zeitung.de/ein-guta ... --16644202
http://umweltfairaendern.de/wp-content/ ... e-1989.pdf
https://www.freitag.de/autoren/der-frei ... -kugelchen
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/003745.html
Grüße,

Toska
________________________________________
Optimismus ist lediglich ein Mangel an Information
2:191

Benutzeravatar
newsjunkie
Poptitan
Beiträge: 116
Registriert: 22.09.2015, 14:21
Wohnort: Altheimatshausen
Kontaktdaten:

Beitrag von newsjunkie » 12.02.2017, 16:08

Spätestens nachdem Brand in dem französischen Atomkraftwerk Flamanville, sollte man zumindest in ganz Europa hellhörig und wach geworden sein. Atomkraft ist alles andere als sichere Energie, das zeigten Tschernobyl und Fukushima auf Grausame Weise. Was man nicht beherrschen kann und nie beherrschen wird, davon sollte man besser die Finger lassen. Aber ich fürchte die Gierde des Menschen wird sein Untergang werden. :roll:
Bild

Antworten