Herr Rossi hat geschrieben:
Das kann ich so nur unterschreiben. Auch die Grünen haben bereits weit vor ihrer ersten Regierungsbeteiligung deutlich die Politik der anderen Parteien mitgeprägt. Daher brauche auch ich die Piraten nicht unbedingt in der Regierungsverantwortung. Es ist für mich schon ein wichtiger Punkt erreicht, wenn sie Netzthemen weiter in die Mitte rücken und damit die anderen Parteien zu klaren Positionierungen drängen.
Sehe ich auch so.
Ich wähle die Piraten seit sie das erste mal auf den Wahlzetteln auftauchten. Gerade hier auf'm Dorf ist das lustig. Der erzkonservative Bürgermeister ist der Vater meines Vermieters und wohnt direkt nebenan. Kurz nach der letzten Wahl grummelte er zu mir "Bei uns hat schon wieder einer diese komischen Piraten gewählt!", ohne zu wissen, dass ich das mal wieder war.
Mit Piraten (in ihrer momentanen Form) in Regierungsverantwortung hätte ich sicherlich ebenso Bauchschmerzen, wie jeder andere auch. Sie sind aber genau das, was unserer Politik und Parteienlandschaft bislang fehlte. CDU und SPD haben sich soweit politisch angenähert, dass es keinen Unterschied mehr macht, wen oder was man wählt. Unterm Strich weiß man einfach: Egal wen oder was man wählt, es wird doch all das gemacht, was nicht nur man selbst, sondern die ganze breite Öffentlichkeit ablehnt. ESM, ESFSF, Afghanistan, Voratsdatenspeicherung ... egal welche Kröte es zu schlucken gilt: Die überschlagen sich dabei, noch 'ne Extra-Portion für uns zu bestellen. Grüne oder zwei-Promille-FDP sind keine ernstzunehmenden Alternativen. Siehe Dosenpfand und Hotelliers-Steuerreförmchen.
Gerade bei der FDP kann man gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte. Rööööööösler! Ich lach mich schlapp. Hatte sich bei der Bundeswehr verpflichtet und dort auf Staatskosten seinem Allgemeinmediziner gemacht und eine Fachausbildung zum Augenarzt angefangen. Zu einer Zeit, in der die Bundeswehr händeringend medizinisches Personal suchte (Ärzte und Sanitätspersonal jeglicher Fachrichtung), kommt er zwei Jahre vor Ende seiner regulären Dienstverpflichtung vorzeitig raus, um direkt in die Politik einzusteigen. Als Arzt kennt er sich ja mit Vitamin-B aus und er hatte halt zur richtigen Zeit das passende Parteibuch.
Christian Lindner, der neue Hoffnungsträger der FDP? Hat 2000 mit zwei Kumpeln eine Firma "zur Vermarktung von Avataren" (!!!) gegründet. Die Firma bekam 1.2 Millionen Gründungszuschuss von der KfW und 800.000 EUR Existenzgründer-Kredit einer Hausbank. Im Jahr darauf schied Lindner aus der Firma aus. Kurz darauf meldete die Firma Konkurs an. Reife Leistung: Mit drei Mann zwei Millionen in einem Jahr verballert und nichts dafür vorzuweisen, als ein paar Büromöbel und volle Papierkörbe. Jemanden mit solcher Wirtschaftskompetenz ist natürlich für die höchsten politischen Ämter prädestiniert.
Was die Grünen angeht: Ich bin (leider) alt genug, um mich noch dumpf an die ersten Gehversuche der Grünen in der Politik zu erinnern. Auch an so manche der recht kontroversen Grünen-Mitglieder der Anfangstage: Gert Bastian (General a.d.) und seine Lebensgefährtin Petra Kelly zum Beispiel, oder den ex-KPD'ler Willi Hoss (übrigens Vater von Schauspielerin Nina Hoss). Oder halt so manche andere "bärtige Zottel in Latzhosen und Sandalen", gegen die so mancher Pirat von heute aussieht, wie ein Musterschüler.
Es dauerte halt einige Zeit, bis die Grünen in den Mühlen der Realpolitik ihre Ecken und Kanten abgeschliffen bekamen, bis sie zu den Schmusekurs-Ökos von heute wurden ("Streicht die Autobahn und macht da ein Biotop hin, dann unterschreiben wir den Koalitionsvertrag und helfen euch, den Energieversorgern die Taschen vollzuschaufeln"). Im Gegenzug haben sie die anderen Parteien halt auch ein bischen grün eingefärbt, so dass selbst eine Merkel bei passendem Anlass den fast sofortigen und fast kompletten Atom-Ausstieg befürworten konnte. Dafür hatten wir zur richtigen Zeit halt auch mal einen geläuterten beinahe-Terroristen und ex-Taxifahrer als Vizekanzler und Aussenminister, der einem Rumsfeld in aller Öffentlichkeit ein "I am not convinced" vor den Latz knallte. Wir alle können uns sicherlich denken, wie diese Szene unter Kohl und Genscher gelaufen wäre.
Von daher: Die Piraten von heute sind sicherlich nicht die Lösung aller Probleme. Aber sie tragen zum überfälligen und nötigen Umdenken in der Politik bei. Die Piraten werden nur dann vorzeitig (vor Erreichen einer nötigen Reife) in Regierungsverantwortung kommen, wenn die etablierten Parteien sich weiterhin dem Vox Populi verweigern und an allen Realitäten vorbei Politik der Pfründe-Bewahrung betreiben.