WW II Biographie der denkwürdigen Art

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Toska
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WW II Biographie der denkwürdigen Art

Beitrag von Toska » 21.03.2015, 04:44

Hallo allerseits,

Ich lese recht gerne Biographien oder Memoiren. Eigentlich querbeet und nicht immer von Leuten, die mit dem WW I oder WW II zu tun hatten. Foch, Montgommery, Rommel, Guderian, Churchill, McArthur, Patton, Chukov oder Hans von Luck? Klar, alles gelesen. Natürlich auch viel über Piloten wie Erich Hartmann, Adolf Galland, Dietrich Hraback, Johannes Steinhoff, Günther Rall und andere, die mit direkt oder indirekt mit JG 52 zu tun hatten, oder auch nicht (Hans-Joachim Marseille z.B.). Oder mal was von einem deutschen Ingenieur, der als Techniker für die "Flying Tigers"-Staffel in China diente (Gerhard Neumann - absoluter Klasse-Typ!).

Viele der Memoiren der deutschen WW II Piloten hatten wenig Gutes über zwei deutsche Piloten zu erzählen. Der eine der oft mit Verachtung gestraft wurde, war Hermann Graf (letzter Geschwader-Kommodore von JG 52), der in russischer Kriegsgefangenschaft zusammenbrach und mit den Russen kollaborierte. Der andere über den die meisten nichts gutes zu erzählen hatten, war der Stuka-Pilot Hans Ulrich Rudel.

Nach jahrelangem hin und her hab ich mir dann doch mal sein Buch "Stuka Pilot" (als eBook) zugelegt, weil es als eBook halt für 'n Appel und 'n Ei zu haben war: http://www.amazon.co.uk/Stuka-Pilot-Han ... B0054GLEUA

Halt einfach, um mir auch mal selbst 'ne Meinung zu dem Thema bilden zu können. Hier mein Fazit:

Rudel ist in Verruf, weil er ein absolut kompromissloser Sturkopf war und halt auch nach dem Krieg strammer Nazi blieb und sich nicht amerikanisieren lassen wollte. Seine Unterstützung von Nazi-Fluchtorganisationen , lateinamerikanischen Diktaturen und rechte politische Splittergruppen tat ihr übriges und sorgte auch dafür, dass ein Verteidigungsminister der BW-Luftwaffe nach einem Kameradschaftsabend mit Rudel seinen Hut nehmen durfte. Bei Rudels Beerdigung "verirrten" sich dann noch zwei Phantom II und ein Starfighter der Luftwaffe und führten über dem Friedhof und den Köpfen von 2500 Trauergästen Kunststückchen auf, was beinahe den nächsten V-Minister seinen Hut kostete. :roll:

Also viel kontroverser als bei Rudel geht es an sich nicht. Die BW tut such mit Traditionen was WW II angeht ja sowieso furchtbar schwer und selbst ideologiefreie "Helden" oder Tugenden sind ein Tabu-Thema. Halt auch, weil man da einfach ein Faß aufmacht, was besser ganz zu bleibt. Bei Rudel gerade um so mehr. Höchstdekorierter Soldat in Hitlers Armee für den man eigens noch spezielle Orden eingeführt hatte, weil er sowieso schon alles hatte. Da waren 549 abgeschossene Panzer, +2000 Bodenziele, ein Schlachtschiff, zwei Kreuzer, ein Zerstörer und unzählige Brücken, Züge und LKWs. Dazu rund 20 Luftsiege in 3500 Kampfeinsätzen, bei denen er +30 mal abgeschossen wurde. Mehrfach schwer verwundet verlor er zuletzt ein Bein unterhalb des Knies und erwirkte dennoch vorzeitige Entlassung aus dem Lazarett, um weiter zu fliegen. Er flog alle Versionen der Ju 87, darunter auch oft den "Kanonenvogel" Ju 87G, der mit zwei 37mm Kanonen und je sechs Schuss zur Panzer-jagt ausgerüstet war. Gegen Kriegsende flog er gelegentlich auch die Focke Wulff 190, da sein Geschwader nicht mehr genügend Ersatz an Stukas bekam und sowieso seinen eigenen Jagdtschutz stellen musste.

Alles in allem liest sich sein Buch recht flüssig und kurzweilig. Meine Version ist in Englisch und das ist teilweise recht holprig und strotzt manchmal von Fehlern im Satzbau. Oder so manches wurde wörtlich übersetzt und man merkt klar, dass der Satz von der Struktur des Satzbaus her im Kopf eines Deutschen entstanden ist. Das tut dem Lesefluss aber nur selten einen Abbruch.

Ich hab das Buch in wenigen Tagen verschlungen, obwohl ich an sich gerade wenig Zeit habe und ich schüttle noch immer den Kopf und kratze mir selben. Memoiren sind meistens Selbstbeweihräucherungen oder persönliche Geschichtskritteleien. Mal im großen und ganzen, mal in Details. Das bin ich gewöhnt und nehme nicht alles für bare Münze. So mancher Fakt muss dann einfach mal mit anderen zeitgenössischen Quellen verglichen werden, oder im Lichte neuerer Erkenntnisse überprüft werden. Bei Rudel ist das erst recht nicht anders.

Dennoch schafft er es gut, sein eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen. Der Mann war total getrieben und vom Krieg besessen. Das merkt man schon früh. Seine Staffeln flogen rund 5-8 Einsätze am Tag. Nach Möglichkeit immer mit der kompletten Staffel, da sich die Stukas gegenseitig Schutz gegen die Jäger geben mussten. Rudel flog dagegen oft 15 Einsätze am Tag. Nach einer Mission und während der Rest nachtankte und aufmunitionierte, ließ er sich fix neue Bomben anhängen (oder die Magazine der 37mm Kanonen tauschen) und hob nur mit seinem Flügelmann wieder ab, um zwischen den Staffel-Missionen noch fix was abzuknallen. Und solange das Wetter mitspielte und es (noch - oder schon wieder) hell genug war, saß er entweder in der Maschine, oder sorgte dafür, dass eine für ihn klar stand und er bald abheben konnte.

Die Versenkung des Schlachtschiffs "Marat"? Natürlich hat die Propaganda den Abschuss Rudel an die Weste genäht. Tatsächlich (und wie er es auch beschreibt) nahm das komplette Geschwader mit allen drei Staffeln am Bombardement teil. Er und sein damaliger Staffelführer warfen beide die zwei Bomben ab, von denen eine im vorderen Magazin der Marat detonierten und diese auseinander riss. Der Staffelführer ging jedoch bei der nächsten Mission drauf und die Propaganda brauchte lebende Helden. Rudel reitet auf dem Fakt in den Memoiren nicht rum, aber bereitet die Fakten so auf, dass der Leser selbst erkennt, was da gespielt wurde. Gleichzeitig lässt er aber auch erkennen, wie sehr er getrieben war, die Marat zu versenken. Nicht, um sich die Versenkung an den Rock pinnen zu lassen, sondern weil sie eine Gefahr "für das Reich" darstellte, die beseitigt werden musste. :eek:

Wieviele der Besatzung dabei draufgingen? Da geht er mit keiner Silbe drauf ein, als wenn das Schlachtschiff halt nur aus 35.000 Tonnen Stahl bestand.

Ein anderer Punkt in dem Buch, bei dem ich mir schwer am Kopf kratzte: Rudel hatte die Angewohnheit, notgelandete Stuka-Piloten selbst "aufzufischen". Er landete neben ihnen und Pilot und Schütze quetschten sich dann in Rudels Stuka und er brachte sie nach Hause. Sechs mal ging das gut. Beim siebten mal war der Boden zu feucht. Die Landung klappte, aber das Fahrwerk sank so tief ein, dass ein Start unmöglich wurde. Rudel, sein Bordschütze Erwin Hentschel und die zwei Mann der anderen Stuka mussten die Beine in die Hand nehmen und vor den anrückenden Russen zu Fuß flüchten. Um zurück in die eigenen Linien zu gelangen musste der Fluss Dnjestr im März 1944 durchschwommen werden. Das Wasser knapp über dem Gefrierpunkt und rund 600 Meter Flussbreite. Erwin Hentschel ertrank dabei. Rudel und Hentschel sind fast 1500 Einsätze zusammen geflogen. Die wenigen Worte, die Rudel in seinen Memoiren für Hentschel übrig hat zeigen deutlichst: Mit Menschen hat er es definitiv nicht. Er jammert eher ausgiebig darüber, dass die Nachfolger Henschels als seine persönlichen Tail-Gunner nicht seine Fähigkeiten haben, ihm effektiv den Hintern freizuhalten. :eek:

Auf der anderen Fluss-Seite dauert es nicht lange, und Rudel sowie die zwei anderen geraten einer russischen Patrouille in die Hände. Rudel wird sofort entwaffnet, kann aber Hals über Kopf mit einem Durchschuss in der Schulter fliehen. Obwohl mehrere Kompanien Russen (mit Spürhunden) auf seinen Fersen sind, schafft er die +50km Rückmarsch zu den eigenen Linien in 24 Stunden. Mit nicht mehr bekleidet, als langer (feuchter) Unterwäsche und ohne Schuhe. Trotz Schussverletzung in der Schulter und total kaputten Füßen sitzt er zwei Tage später wieder im Cockpit und führt seine Staffel an. Er sagt es nicht, aber er ist halt einer, der meint, dass es ohne ihn nicht geht.

Für die ganze Flucht-Eskapade gibt es nur einen überlebenden Augenzeugen (Rudel selbst) und durch die Bank weg ist das mit der unglaubwürdigste Teil des ganzen Buches. Und gerade was die Haltung gegenüber Henschel angeht, auch die entlavenste im Bezug auf Charakter-Schwächen. Das zieht sich dann auch wie ein roter Faden durch die kompletten Memoiren. Rudel ist unfähig, tiefer auf Verluste einzugehen. Er beklagt den Verlust von Kameraden eher als Fähigkeits- und Fertigkeitsverlust, der die Schlagkraft der Truppe verringert und somit mehr von ihm selbst abverlangt. Er sieht das weniger als persönliche Verluste von Freunden oder Kameraden. Das ist dann schon recht schwer verdaulich.

Über die russischen Flieger (vor allem die Jagtflieger) hat er kaum was gutes zu sagen. Einmal (noch mit verletzter Schulter und kaputten Füßen und somit arg angeschlagen und kaum in der Lage, die Pedale vernünftig zu betätigen) hat er ein russisches Fliegerass mit dessen kompletter Elite-Staffel (eine Garde-Einheit) an der Backe. Sein Flügelmann ist bereits runter und sein (neuer) Bordschütze Gardemann hat den Dreh noch nicht raus. Rudel schafft es dennoch, die Russen in Grund und Boden zu fliegen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Er manövriert das russische Flieger-Ass (mehrfacher "Held der Sovietunion") so aus, dass dieser hinter ihm in den Boden klatscht.

Einen kälteren Hund wird man sicherlich nicht finden. :roll:

Ich lasse das Ende mal bewusst offen für den Fall, dass jemand anderes das Buch auch noch lesen will. Doch je näher das Kriegsende rückte, um so mehr agierte er als Getriebener, der sich (notfalls alleine) der roten Flut entgegen stemmt, auch wenn sich alles (Nachschub- und Material-Lage oder Unterstützung durch andere Einheiten) gegen ihn verschworen hat (seine Worte). Seine militärischen Leistungen (er halt alleine zweieinhalb Panzer-Divisionen abgeknallt!) sind so weit abgehoben, dass die ganzen Nazi-Orden irgendwo schon so ihre militärische Berechtigung haben dürften.

Aber die Person "Hans Ulrich Rudel" an sich entlarvt sich schon durch seine eigenen Worte als "Forrest Gump" der Luftwaffe. Und das komplett im negativen Sinne und als tragischer Anti-Held.

Mein Fazit: Lesenswert und denkwürdig. Aber nicht zwangsläufig im positiven Sinne.

Passend zum Thema hier mal ein Youtube Interview mit Stuka Pilot Heinz-Georg Wilhelm Migeod. Zum Zeitpunkt des Interviews war Miegod 92 Jahre alt. Das Interview ist in Englisch und gut drei Stunden lang. Er diente Anfang des Krieges in der selben Einheit wie Rudel und hat zu dem auch was zu sagen. Trotz des lausigen Englisch von Miegod fand ich das enorm kurzweilig. Aber auch der ist halt einer, der nach dem Krieg mit seiner Gesinnung eher aneckte und dann auswanderte. Er kannte Hans-Joachim Marseille persönlich (der Teil ist witzig!) und Günther Rall war sein Freund aus Zeiten der Flugschule in 1938. Besonders erleuchtend seine Erwähnung eines der letzten Briefe, die Rall ihm angeblich Anfang der 90'er geschickt habe. Der NATO-General im Ruhestand hatte auf einmal dann doch die Faxen mit den USA dicke. :roll:

Hier das Video am Stück für jene mit Sitzfleisch: https://www.youtube.com/watch?v=XxDkoIVcq6o
Grüße,

Toska
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Beitrag von |FtN|Kassn » 23.03.2015, 19:37

Danke für die Info, das auch mal aus anderer Sicht zu lesen.
Dem Genitiv sein Rettungskommando
"Denn ein Mensch, der da ißt und trinkt und hat guten Mut bei allen seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Pred. 3,13" Bei FtN seit 24.10.2002 mit 6577+ diesen Beiträgen

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