"Die Welt" zur Türkei - Gesinnungswechsel?

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Toska
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"Die Welt" zur Türkei - Gesinnungswechsel?

Beitrag von Toska » 20.05.2014, 02:37

Hallo,

"Die Welt" diktiert gerade die neue außenpolitische Linie der Bundesregierung in Sachen Türkei. Der Artikel ist insgesamt lesenswert, wiederholt aber fast nur Dinge, die sowieso schon viel länger bekannt sind. Aber so offen und so scharf hat man das in der Springer-Presse noch nie gelesen:
[...]
Nach zwölf Jahren an der Spitze des türkischen Staates ist von dem Demokraten Erdogan nichts mehr übrig. Er ist kein Reformer mehr, der die Türkei nach Europa führt. Er ist lediglich ein Eroberer, der sich des Unterdrückungsapparates bemächtigt hat, mit dem der türkische Staat auch vormals seine Gegner bekämpfte.

Für den autoritären Kemalismus, dessen Versprechen die aufklärerische Modernisierung der Türkei war, waren die rückständigen Islamgläubigen der Hauptfeind. Jetzt zeigt sich, dass es eine Illusion war, zu glauben, dass ausgerechnet aus den Reihen der Islamgläubigen eine Demokratiebewegung entstehen könnte.

Der Glaube eint und trennt die Menschen

Der Islam in der Türkei ist weit davon entfernt, eine innovative Kraft zu sein. Vielmehr dient er einer korrupten Riege von Politikern zur Festigung ihrer Macht. Der Glaube eint und trennt die Menschen. Unter den Gläubigen wirken emotionale Fesseln stärker als rationale Argumente.
[...]

Quelle: http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... krieg.html
Aus Kreisen der SPD und der Grünen hat schon länger keiner mehr den Beitritt der Türkei zur EU gefordert. Warum nur? Die Türkei passt doch prima mit an den Tisch in Brüssel. :D
Grüße,

Toska
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Beitrag von Herr Rossi » 20.05.2014, 07:42

Wo ist da nun der Untschied zu einer Vielzahl anderer bereits beigetretenen Staaten? Es würde mich zudem auch nicht wundern, wenn man sowohl auf der Seite der Politik als auch der Bevölkerung in der Türkei überhaupt gar kein Interesse mehr daran hat beizutreten. Immerhin bekleckert sich die EU seit der Finanzkrise nicht gerade mit Ruhm und hält auch selbst nicht gerade die Werte von Demokratie und Freiheit allzu hoch. Das alles an Erdogan festzumachen halte ich für ein wenig zu sehr s/w gedacht.

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Beitrag von Malagant » 24.05.2014, 15:43

Komme gerade aus Köln. Huch, da war was los bzgl. der Demo. Nervig waren einzig diese kack Harley Fahrer.

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Beitrag von Toska » 24.05.2014, 20:04

@Rossi:

Nein, die Türkei hat sich unter Erdogan umorientiert und ein EU-Beitritt ist mehr oder minder vom Tisch. Stattdessen strebt man eine regionale Vorherrschaft im nahen Osten an. Aber gerade aus dem Umfeld von SPD und Grünen gab es lange genug laute Stimmen, die sich lange und vehement für die Türkei ins Zeug geworfen haben. Die zunehmenden Demokratie-Defizite haben wohl auch jene zum Verstimmen gebracht.

Just zum aktuellen "Gastspiel": Das gibts in keinem anderen Land, dass man zulässt, dass der Präsident eines anderen Landes dort Wahlkampf macht und versucht, die dort lebenden Bürger seines Staates massiv zu beeinflussen. Wir nehmen dann sogar noch unkommentiert hin, dass ein Minister des besagten Landes fordert, die angemeldeten Gegendemonstrationen zu verbieten und uns deutlich darauf hinweist, dass wir für die Sicherheit seines Präsidenten verantwortlich sind. Bei sowas wird normalerweise der Botschafter einbestellt und fliegt kurz darauf "für Konsultationen" nach Hause, bis einige Wochen später ein Nachfolger den Posten antreten darf.

Es hätte gereicht, wenn das Auswärtige Amt im Vorfeld gesagt hätte: "Unter den gegebenen Umständen können wir keine Sicherheitsgarantien geben und raten vom Staatsbesuch zum jetzigen Zeitpunkt ab." Stattdessen werden tausende Polizisten um ihr Wochenende gebracht, um einen größenwahnsinnigen beinahe-Despoten zu schützen, damit er hier gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, die Pressefreiheit und die Bundespolitik anstänkern kann.

Das einzige mal, wo es dass bei uns bislang gegeben hat, war 1956 beim Besuch de Gauls. Der war allerdings primär auf Visite bei Adenauer und hat dann auf dem Rückweg einen Abstecher in eine französische Kaserne gemacht, um dort Truppenbesuch und Wahlkampf miteinander zu verbinden. Selbst das führte zu diplomatischer Verstimmung. Selbst US Präsidenten haben sich sowas bislang nicht geleistet, obwohl sie als Besatzungsmacht mit Deutschland nie zimperlich umgingen oder auf Befindlichkeiten Rücksicht nahmen.

In Kolumbien sind am Sonntag Präsidentschaftswahlen. Im benachbarten Venezuela leben etwa soviele Kolumbianer wie Türken in Deutschland. Würden die Präsidentschafts-Kandidaten Santos oder Uribe nach Venezuela fliegen um da 'nen "Erdogan" abzuliefern, würde Venezuela sie vermutlich an der Grenze mit Kampfjets am Weiterflug hindern und Abschuss androhen. Umgekehrt genauso. Ganz einfach, weil es internationalen Gepflogenheiten und Selbstverständlichkeiten widerspricht. Ein souveräner Staat braucht so einen Affront und Einmischungen in innere Angelegenheiten nicht hinzunehmen. Die Frage ist: Warum machen wir das anders? Toleranz bis zur Selbstverleugnung? Vielleicht als kleines Kontrastprogramm: "Seht her: Verglichen mit der Türkei ist die Bundespolitik doch gar nicht mal so schlecht!"

Na, ich weiß nicht ... :roll:
Grüße,

Toska
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Herr Rossi
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Beitrag von Herr Rossi » 24.05.2014, 21:29

Das sehe ich ein wenig anders. Es gab klare Anstrengungen der Türkei in der Vergangenheit sich den westlichen Werten anzunähern und in der Folge hat man eine Menge liberaler Politik umgesetzt. All das fand aber ein Ende mit dem Beginn der Finanzkrise, denn in Folge dessen hat der Westen mehr als deutlich seine wahre Fratze gezeigt Nun mag man annehmen, dass Erdogan schon immer eine diktatorische Ader hatte... nur, wir wissen es nicht. Die Abwendung vom Westen kann ich jedenfalls verstehen. In Folge der Krise wurde praktisch nur ein einziges Menschenbild vermittelt: Lügen, abzocken und betrügen.... und genau das tut er nun.

Zum Thema Staatsbesuch: Was wäre denn dein Ansatz gewesen? Ihm die Einreise zu verbieten oder ihm sämtliche Sicherheitsgarantien abzusprechen? Meinst du ernsthaft, dass das irgend einen Ansatz liberaler / demokratischen Gesinnung in der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland befördert hätte? Ganz im Gegenteil hätte das nur radikalisiert und davon abgesehen gehört sowas schlichtweg zu den Basics eines demokratischen Staates. Wenn das freie Reden in einem Staat zu einem Problem wird, egal ob es ein Hitler, Stalin oder Erdogan ist, dann sind wir eh am Ende der Freiheit.

Bei deiner Auflistung vergisst du übrigens dem Schah... der hat sogar seine Prügeltrupps mitbringen dürfen.

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Beitrag von Toska » 24.05.2014, 23:59

Herr Rossi hat geschrieben:Zum Thema Staatsbesuch: Was wäre denn dein Ansatz gewesen?
Sowas lässt sich prima auf der Ebene der Diplomatie regeln. In die Presse gelangt das nur durch gezielte Indiskretionen. Wenn aus der Türkei die Anfrage wegen dem Besuch kommt, sagt das Auswärtige Amt dann einfach, was ich Eingangs zitiert hab. Dann wird ggf. nach Ausweich-Terminen gesucht und wenn auch der ähnlich Beschieden wird, oder gesagt wird: "Am Besten nach eurer Wahl", dann ist das Thema erstmal vom Tisch. Weil die Gegenseite dann gemerkt hat: Die wollen uns (jetzt?) nicht. Es kann uns ja niemand zwingen, einen fremden Staatschef einreisen zu lassen und dann für ihn eine ganze Großstadt mit Polizeiaufgebot von mehreren Tausend lahmzulegen.
Herr Rossi hat geschrieben:Wenn das freie Reden in einem Staat zu einem Problem wird, egal ob es ein Hitler, Stalin oder Erdogan ist, dann sind wir eh am Ende der Freiheit.

Bei deiner Auflistung vergisst du übrigens dem Schah... der hat sogar seine Prügeltrupps mitbringen dürfen.
Äpfel und Birnen. Der Schah war nicht auf Wahlkampf-Tour hier und Erdogan nicht als Tourist, sondern als Wahlkämpfer. Bei all deiner Liberalität vergisst du eines: Wenn wir (die BRD) Erdogan erlauben, hier bei uns Wahlkampf in eigener Sache zu machen, dann müssen wir auch allen Gegenkandidaten Erdogans die Gelegenheit dazu geben. Ansonsten haben wir hier ganz einseitig Schützenhilfe für Erdogan in dessen Wahlkampf gegeben und uns sehr einseitig in die inneren Angelegenheiten der Türkei eingemischt. Falls Erdogan abgewählt wird, kann das die Beziehungen zum nächsten türkischen Präsidenten belasten.

Das sind halt auch Gründe, warum andere Staaten sowas generell weder tun, noch mit sich machen lassen. Das sind auch Gründe, warum Bundeskanzler es (auch bei bestem persönlichen Verhältnissen) vermeiden, unmittelbar vor einer Wahl (der eigenen oder des zu besuchenden Staatschefs) ins Ausland reisen und dort andere Staatschefs treffen. Ansonsten wirkt das halt wie einseitige Wahlhilfe (Stimmenfang über die Außenpolitik). Da ist das "Anheizen" des eigenen Wahlvolkes im zu besuchenden Land noch nichtmal eingerechnet. Hier hat einer schamlos den Regierungs-Chef-Bonus ausgenutzt, um bei Expats seines Volkes in unserem Land Stimmung zu machen und uns (in diplomatischer Sichtweise) 'nen Haufen auf den Tisch zu setzten.

Ich halte das für den größeren diplomatischen Affront, als es eine Absage unsererseits gewesen wäre. Diplomatisch gesehen war das, was Erdogan hier abgezogen hat eine maßlose und unverschämte Rüpelei.
Grüße,

Toska
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